Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
Vom Netzwerk:
»Oh.« Natürlich war er beim Militär gewesen. Bei einem   Haufen Militärs. »Also bist du lange zur Schule gegangen.« Er zuckte mit den Schultern und kippte seinen zweiten Tequila. Meine Augen folgten ihm wie ein Laserpointer.
      »Beunruhigt dich irgendwas?«
      Es ist mir egal, was andere sagen, aber mein Gesicht kann kein so offenes Buch sein. »Man sollte nicht trinken und kämpfen«, nuschelte ich.
      Seine Brauen sanken herab, als wollte er mich fragen, ob das mein Ernst war. »Ich kämpfe nicht«, sagte er gelassen. »Ich zettele keine Schlägereien in Bars an. Ich pöbele niemanden an. Ist es das, was dir Sorgen bereitet?«
      Ich hatte mittlerweile keine Ahnung mehr, was mir Sorgen bereitete. All diese Gedanken in meinem Kopf, die Vergangenheit und die Gegenwart - irgendwann musste ich mich mal hinsetzen und sie alle sortieren. Ich schaufelte ein paar Bohnen und Reis auf einen Tortilla-Chip und zuckte wieder mit den Schultern. Wahrscheinlich bereute er schon, dass er mich eingeladen hatte.
      Reyn nahm sich den Rest Guacamole. »Keine Sorge, mein Schwert ist im Truck.«
      Mein Kopf fuhr hoch. Sein Gesicht war vollkommen ernst, aber seine Augen wirkten ... weicher. Nicht mehr so bohrend. Ich lachte nervös und er lächelte.
      »Und ... wie ist es, wieder zurück in River's Edge zu sein?« Seine Frage brachte mich aus dem Konzept. Sofort tauchten die Geschehnisse in Boston wieder vor meinen Augen auf.
      »Äh ... in jeder Hinsicht gut. Zum einen, weil ich weiß, dass ich hierhergehöre, und außerdem, weil mir alle - fast alle - beigestanden haben. Ein paar von ihnen haben mir erzählt, warum sie in River's Edge sind, und das hat geholfen. Weil ich jetzt weiß, dass ich nicht die einzige Katastrophe auf zwei Beinen bin.«
      »Nein«, sagte er. »Das bist du nicht.« Ich hörte das tiefe Bedauern in seiner Stimme und die nächsten Minuten saßen wir nur da und sahen uns an wie zwei Deppen.
      »Es war grauenhaft in Boston«, sagte ich schließlich. »So schlimm, dass ich froh war, wieder hierher in die Normalität zurückzukommen - selbst wenn das Stalldienst, Unterricht und Gemeinschaftsbad bedeutet. Bisher konnte ich alles, was grauenvoll war ... einfach hinter mir lassen, weiß du? Ich bin einfach weitergezogen.«
      »Neue Stadt, neuer Name.« Reyn nickte.
      »Genau. Sobald ich jemand Neues geworden war, musste ich über meine Fehltritte nicht mehr nachdenken. Oder die Menschen, die ich verletzt hatte.«
      Reyn nickte erneut und seine langen Finger strichen die Serviette unter seiner Bierflasche glatt. »In River's Edge werden all die falschen Identitäten und Entschuldigungen und Lügen abgestreift.« Er trank sein zweites Bier aus und scheuchte die aufdringliche Kellnerin weg, die uns am liebsten eine dritte Runde Drinks gebracht hätte. Dann sah er wieder mich an und fuhr fort: »Hier kannst du nur du selbst sein. Nur der Kern von deinem Ich. Die meisten von uns haben keine Ahnung mehr, wer sie eigentlich sind. Oder ... sie haben Angst vor dieser Person.« »Stimmt genau«, erwiderte ich und wollte mich am liebsten in seine Arme werfen. Er wusste genau, was ich meinte. Incy hatte nie über solche Sachen reden wollen und sich die Ohren zugehalten und la-la-la-la gerufen, wenn ich mal versucht habe, über mich selbst zu reden. Normalerweise tat ich so etwas nicht, konnte diese Gedanken niemandem eingestehen. Aber ich hatte keinen Zweifel, dass Reyn am meisten Angst vor seinem wahren Ich hatte, das sich unter seiner harten Schale verbarg. »Lass uns gehen«, sagte er und legte das Geld fürs Essen auf das Tablett.
      »Okay«, hauchte ich und rutschte von der Bank.
      Die Rückfahrt war noch dunkler und stiller als die Hinfahrt, denn Reyn benutzte nur unbeleuchtete Seitenstraßen, an denen kaum Häuser standen. Wie es wohl sein mochte, mit ihm über Land zu fahren? Also, eins war sicher - vor Räubern oder Autodieben bräuchte ich keine Angst zu haben.
      Reyn bog unerwartet ab und wir rumpelten über einen Feldweg, der durch etwas hindurchführte, das nach alten Maisstängeln aussah. Der Mond tauchte ihre Spitzen in weißes Licht, und wenn ich weit genug voraus schaute, erinnerte der Anblick an die weiße Gischt auf dem Meer.
      »Was machen wir hier?«, fragte ich.
      Reyn sah mich an und stellte den Motor ab. »Wir parken.« Mein Herz schien langsam, aber sicher stehen zu bleiben.
      Wir waren meilenweit von River's Edge entfernt und auch von allem und jedem, was es hier

Weitere Kostenlose Bücher