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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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Heimatgefühle. Ich hatte einen Großteil meines Lebens in den skandinavischen Ländern verbracht. Dort hat das Licht eine besondere Intensität die Vermeer wie durch Zauberei in seinen Bildern eingefangen hat. Sie zu betrachten, machte mir das Herz schwer.
      Wir beschlossen, noch schnell durch die Impressionisten zu düsen und dann früh zu Abend zu essen, bevor wir uns ein Broadway-Stück ansahen oder etwas in der Art. Der Impressionismus scheint manchmal der heiterste, am leichtesten zugängliche Kunststil zu sein. Vielleicht liegt es an den bunten Farben. Keine Ahnung. Aber verglichen mit den deutschen Expressionisten zum Beispiel, sind die Bilder der Impressionisten ein fröhlich-ausgelassener Spaziergang im Park.
      Doch ich schweife ab.
      Eigentlich wollte ich darauf hinaus, dass wir an diesem Tag auch mehrere Bilder von Gauguin sahen. Der ja bekanntermaßen total auf Tahiti stand. Und so, wie er es gemalt hat, sah es üppig, wild und primitiv aus und strotzte nur so von Leben, Saft und Sonnenschein.
      Also reisten wir statt nach Griechenland nach Polynesien und blieben, die nächsten Jahre dort.
      Incy lehnte immer noch am Felsen, die handgemachten italienischen Sandalen vom Seetang umgeben. Er seufzte. »Wie viele Telegramme habe ich dir geschickt? Du hättest kommen sollen. Ich habe ein paar tolle Leute getroffen. Boz war eine Zeit lang da - wir haben in seinem umwerfenden Stadthaus in Whitehead Crescent gewohnt. Du hast gesagt, dass du auch kommen würdest.«
      »Das wollte ich.« Ich gab meine Suche für diesen Tag auf.
      Incy brauchte Zuspruch. »Ich kann nicht fassen, dass du schon wieder da bist. Ich wollte in einer oder zwei Wochen aufbrechen.« Wir kletterten zwischen den Felsen hindurch zu dem schmalen Pfad, der auf diesen abgeschiedenen Strandabschnitt hinunterführte. Ich hatte nur eine Hand frei, aber Incy, der beobachtete wie ich hinter ihm hinaufkletterte, bot mir keine Hilfe an.
      »Es tut mir leid«, sagte ich auf dem Weg zur Straße. »Ich wollte wirklich kommen. Du weißt, wie gern ich mit dir in London bin, April oder nicht. Ich glaube, das Inselleben hat mir die Birne weichgespült.« Incy verzog keine Miene. »Aber ich bin wirklich froh, dass du wieder da bist!« Ich legte extra viel Begeisterung in meine Stimme. Er warf mir einen kühlen Blick zu. »Ich habe dich so vermisst«, beteuerte ich und verspürte einen Anflug von Schuldgefühlen, weil ich annahm, dass ich ihn längst nicht so sehr vermisst hatte wie er mich.
      Auf Tahiti war mein Name Sea Caraway. Nach unserer Ankunft hatten wir eine Weile Inselhopping betrieben – Bora Bora, Tahiti, die Marquesas - und uns dann auf Moorea niedergelassen, der Insel, die der großen Hauptinsel Tahiti am nächsten lag. Ich hatte mich in eine Hütte am Strand verliebt, was Incy zuerst witzig, dann besorgniserregend fand. Die Ananasplantagen reichten fast bis an die Rückseite meines Häuschens und zehn Monate im Jahr lebte ich mit dem süßen Duft der Früchte, die unter der Sonne der Südsee heranreiften.
      Incy hielt mich für verrückt, weil ich dort lebte - er hatte das größte Zimmer im Hotel am Strand, wo er sich den Zimmerservice kommen lassen konnte und man ihm die Drinks direkt in seinem Sessel in der Lounge reichte.
      Aber ich liebte meine Hütte. Hier zu leben war, als wäre ein Traum Wirklichkeit geworden.
      Incy hatte längst genug davon. Er blieb nur, weil ich nicht fortwollte. Nach den Fünfziger- und Sechzigerjahren, in denen ich ein ausschweifendes Partyleben geführt hatte, brauchte ich jetzt eine Auszeit.
      »Das bezweifle ich«, sagte Incy und rupfte eine leuchtend gelbe Hibiskusblüte von einem Baum am Straßenrand. Er fing an, sie zu zerpflücken. Hinter ihm blieb eine Spur aus gelben Blütenblättern zurück, die mich an die Federn von Singvögeln erinnerten.
      »Incy, natürlich habe ich dich vermisst.« Ich hakte mich mit meinem freien Arm bei ihm ein. »Ich war bloß faul und mit den Gedanken woanders. Aber jetzt bist du wieder da! Wie wär's, wollen wir das im Blue Dolphin feiern?« Das war ein halbwegs schickes Restaurant in einer der Ferienanlagen für Taucher. »Lass mich nur dieses Zeug abladen und mich umziehen. Ich will alles über London hören, was du getan hast, wen du getroffen hast und den allerneuesten Klatsch.« In Wahrheit wäre ich viel lieber in meine Hütte gegangen, hätte meine Funde sortiert, bei Einbruch der Dunkelheit eine Laterne angezündet und vielleicht etwas Fisch

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