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Entfesselte Energien (Band 1)

Entfesselte Energien (Band 1)

Titel: Entfesselte Energien (Band 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Collmann
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uns doch weiter gehen!“
    Schnell trat der Präside vor und ließ drei Hochs auf Riemenschneider ausbringen, erst dann gab er den Weg frei. Als man den Buchenwald erreichte, kommandierte er: „Binnen fünf Bierminuten steigt der Kantus ‘‘durch Feld und Buchenhallen’’!“
    „ Aber das ist eine der schönsten Lieder Eichendorffs“, gab ihm Riemenschneider zu verstehen.
    „ Ich werde daran denken“, raunte Wedekamp zurück, „das Lied soll nicht gegrölt werden.“
    In der Tat ‘‘stieg’’ der erste Vers verhältnismäßig gedämpft und ohne den Ausdruck, den auch die zartesten Lieder in Studentenkehlen anzunehmen pflegen. Darauf winkte der Präside ab und kommandierte: „Der zweite Vers Solo für ‘‘Marie-Therese’’!“
    Lauter Beifall und wildes Gelächter folgten diesen Worten.
    „Lieber nicht!“, lachte Tess, „es würde sonst vielleicht klingen wie ‘‘als die Römer frech geworden’’ …“
    Nach einigem Hin und Her entschied man sich, dass Tess nachher das Varuslied zum Besten geben sollte, während Lore – auf Riemenschneiders Vorschlag – den zweiten Vers des eichendorffschen Liedes übernahm: „Wenns kaum im Osten glühte …“
    Das klang noch etwas befangen und verschleiert, aber die Sängerin raffte sich auf und fasste Mut. In makelloser Schönheit, glockenklar und die Tempelhalle des Waldes voll erfüllend stiegen die Worte empor:               Die Welt noch still und weit
    Da weht recht durchs Gemüte
    Die schöne Blütenzeit.“
    Eine Weile lang schwieg jeder Laut, man hörte nur das Tappen der Füße auf dem weichen Waldgrund. Dann brach ein Beifall los, wie er nur aus völliger Überraschung und Überwältigung herausbrechen konnte. ‘‘Er’’ allein blieb still, den Kopf gesenkt, aber als der Beifall verrauscht war, wandte er sich langsam um nach der Sängerin. Gerade hob Lore das schüchtern hinter den Händen verborgene Antlitz, ihre Blicke trafen sich und ruhten eine Weile ineinander. Dann wandte er sich wieder zum Gehen, aber wie zögernd, und den ganzen Tag blieb ein Glanz in seinem Auge zurück, wie ihn niemand an ihm kannte.
    Wedekamp wollte der so unerwartet entdeckten Altstimme auch alle weiteren Verse des Liedes zudiktieren, doch Lore sagte sehr entschieden „Nein, lass mal einen anderen“. Da wurde Weißmann, der Berliner mit dem folgenden Verse beauftragt. Er sang mit ganz angenehmer Baritonstimme, sodass der Abfall vom vorhergehenden Vers nicht gar zu peinlich war. Die folgenden Verse bis zum Schluss sollte wieder die Truppe singen, aber es traute sich nach diesen Darbietungen keiner mehr recht mit der Stimme heraus, sodass das Folgende eigentlich nur noch ein Duett von einem ausgezeichneten Alt und einer wohlklingenden Baritonstimme war.
    „ Ich danke ihnen“, sagte Riemenschneider leise zu dem Präsidenten, „dies war ein wahres Fest.“ Worauf Korrens seinen Freund Wedekamp ein wenig beiseite nahm.
    „ Du!“
    „ Ja?“
    „ Warte mal!“
    „ Wolltest du mir was sagen?“
    „ Weißt du, was ich glaube?“
    „ Na?“
    „ Da spinnt sich was an!“
    „ Meinst du? O, das müssen wir rauskriegen.“
    „ Lass mich mal machen. Wedekamp! Nachher in einer stillen Stunde! – Du kannst ja die Gruppe mal ein bisschen beschäftigen: Spiele – Tanz – Springen – Laufen – so was!“
    „ Lässt sich machen, lieber Korrens, wenn du das andere übernehmen willst. – Aber erst muss Marie-Therese dran glauben.“
    Und Tess sang, mit einer Stimme ohne Schmelz, doch mit erstaunlicher Zungengewalt, rasselnd, kastagnettenmäßig den ersten Vers des Varusliedes herunter. Sie erntete ihren gewohnten Beifall.
    Dann ließ Wedekamp an einer guten Stelle haltmachen. Einige Spaßlieder, wie der ‘‘Pinschgauer’’, ‘‘was kommt dort von der Höh’’ und ähnliche Scherze machten hier im Walde gute Wirkung. Dann wurden Spiele gespielt, bei denen Tessis sportgeübter Körper triumphierte. Ihre Freundin hielt sich bescheiden im Hintergrunde, sie schaute ruhig und neidlos zu, wie man die Andere feierte. Dass dies bemerkt wurde, und dass die Art, wie sie schaute: unbeteiligt, in selbstsicherer Ruhe, ‘‘reines, willenloses Subjekt des Erkennens’’, einige der Herrn vom Spiel fortzog und auf ihre Seite trieb, mag mehr als alles andere Zeugnis davon ablegen, dass sich eine Schar von bemerkenswerten Menschen um Riemenschneider gesammelt hatte. Vielleicht auch, dass er ihre Werte hervorgeholt hatte!
    Der Meister selbst saß mit

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