Entfesselte Energien (Band 1)
machen wir mal Rast.“ – Er wischte sich Hals und Stirne ab. – „Wir müssen doch mal einen Überblick über das Tal gewinnen. Dann wäre die Gelegenheit ja günstig.“
„ Sehr gut! – sie wird ihren Kram ja schmeißen? Ich habe sie mir mal tüchtig vorgeknöpft. Nachdem ich erst mal ihren Widerstand gebrochen hatte!“
„ Na, na. Korrens!“
„ Auf B. – E.! – Da war so ’n frecher Bengel bei ihr, dem musste ich erst mal Mores beibringen. Keine Zucht ist mehr unter den Füchsen heutzutage!“
Das Gespräch verstummte, da Riemenschneider vor ihnen stehen blieb und alle herankommen ließ.
„Ich denke, meine Herrn, wir wählen jetzt mal einen Präsident, der – hm – die Leitung des Ganzen übernimmt?“ Er sah fragend von einem zum anderen.
„ Ach, Herr Doktor“, bat Korrens, „übernehmen sie bitte das Präsidium!“ Seine weiteren Worte gingen unter in dem Beifallsgebrüll der ganzen Rasselbande.
Riemenschneider wartete geduldig, bis wieder Ruhe herrschte, dann fragte er lächelnd; „Soll dann alles geschehen, was ich sage?“
„ Ja!“ – „Ja!“ – „Ja!“ – „Alles tun wir nach ihrem Willen und Kommando!“ – „Alles!“, bestätigte noch eine helle weibliche Stimme hinterher. Schallendes Gelächter folgte.
„ Dann passen sie auf, meine Herren, was ich als Erstes anordne: Das Präsidium übernimmt an meiner statt – er durchlief mit den Augen die Reihen – hm – hier unser lieber Herr Wedekamp, der uns schon an manchem Abend durch seine humorvollen Darbietungen erfreut hat.“
Große Heiterkeit! Wedekamp verbeugte sich tief. Er sammelte sich eine Weile, wischte sich die hochrote Stirne und gab die Losung aus: „Auf der Höhe macht alles Halt!“ Stürmischer Beifall folgte diesem strengen Befehl. Die beiden alten Semester warfen sich einen verstohlenen Blick zu.
Als man oben angekommen war und sich alle unter den Apfelbaum ins Gras warfen, trat Tess, von verschiedenen Seiten durch Zurufe ermuntert, auf einen kleinen Erdhügel und winkte mit ihrer schmalen Hand alle heran.
„ Meine Herrn und – Damen(!)“, sagte sie betont, worüber schon Gelächter ausbrach. „Es ist ein Irrtum, zu meinen, dass die antike Welt untergegangen sei – Welten gehen überhaupt nicht unter …“
„ Na, na!“, rief man von verschiedenen Seiten. Mehr und mehr hörten aber diese Zwischenrufe auf, da die Sprecherin selbst ernst wurde.
„ Die antike Welt hat bis heute weiter bestanden und es hat immer Menschen gegeben, die in ihr gelebt haben. Es ist mir eine Persönlichkeit bekannt – heute! – die, wenn sie im Jahre 430 vor Chr. in Athen gelebt hätte, Perikles genannt worden wäre.“
Viele Augen starrten die Rednerin an u nd wussten sich noch keinen Reim aus ihren Worten zu machen, aber einige begannen zu verstehen und lächelten sich zu.
„ Aber dieser Perikles ist mehr als Perikles, er beschäftigt sich mit Atomen wie Demokritos und sucht ein Labyrinth zu ergründen wie Theseus.“
Alle verstanden, aber sie lachten nicht mehr; dieses kleine Mädchen katte sie alle in ihren B ann gezogen, da sie nicht wie die Präsidenten und (Fuchs-) Major beim Kommers sprach, die kleine Wellen plätschern und gar nicht mehr wollen als Wellen plätschern. Tess war es ernst um ihren ‘‘Perikles’’.
„ Aber seltsam, dieses Labyrinth liegt nicht mehr auf Kreta. Ist überhaupt nicht ein Ort dieser Erde, den wir mit unseren Beinen aufsuchen könnten; dieses Labyrinth, mit dem sich unser Perikles beschäftigt, führt mitten in das – Atom hinein.“
Große Bewegung bei allen Anwesenden. Riemenschneider beginnt leise zu erröten.
„Fürchten wir dieses Labyrinth, meine Herrn! Bangt alle um den, der sich in dieses Labyrinth hineinwagt – ohne den Faden der Ariadne! – Einst wird kommen der Tag, wo er den Rückweg verliert, wo es ihn weitertreibt, wo es ihn rastlos weitertreibt, weiter – weiter – weiter – grade weg’s nach Berlin!“
Die Spannung brach, alle lachten und jubelten und schrien auf. Selbst ‘‘Er’’ konnte sich eines leisen Lächelns nicht erwehren.
Die Rednerin sprang von ihrem Podium hera b und trat auf ihn zu, mit feuchten Augen. Und alle folgten ihr und umringten ihren Schwarm, überschütteten ihn mit Bitten und ruhten nicht eher, als bis er ihnen erklärte, was es mit Berlin auf sich habe.
„ Das alles, meine Herrn, liegt noch in weiter Ferne und ich denke gar nicht daran, unser schönes Tübingen jetzt zu verlassen. – Und jetzt lassen sie
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