Entfesselte Energien (Band 1)
Ganzen aufgenommen wird, man merkt sich besonders die, die pro sind, da die Gegner uns heute noch nichts nützen können. Seine Freunde aber nimmt man mal hie und da beiseite und horcht sie mit einiger Vorsicht aus; sie müssen uns sagen, was sie von ihm wissen. Hat er irgendwelche Ambitionen? – Na, welcher Lord hätte keine Ambitionen! – Hat er sich schon irgendwie und irgendwo betätigt? Hat er schon einmal kandidiert? Welche Karriere hat er hinter sich? War er schon in Indien? Oder wo sonst hat er sich die Sporen verdient? Hat er schon öffentlich geredet? Broschüren heraus gegeben? Den und jenen angegriffen? Das alles interessiert uns enorm, das wird mit goldenen Lettern in unser Gedächtnis eingraviert. Wir sind jetzt genau im Bilde über den Mann, den wir natürlich noch weiterhin überwachen. Er kann keinen Schritt vor die Türe tun, keine Zeile schreiben oder sprechen, ohne dass es uns von unseren Detektiven berichtet wird.“
„ Sehr schön!“, meinte Tess, „dazu gehört aber nicht nur das nötige Kleingeld.“
„ Nicht viel im Vergleich zu dem, was wir erreichen. – Nach diesen Vorbereitungen kann dann der eigentliche Schlag folgen – vielmehr die Schläge! Von zwei verschiedenen Seiten aus muss man seine Minen vortreiben. Einmal muss der Mann, unser Lord Dreamingham, in Marsch gesetzt werden, er weiß ja vielleicht noch gar nicht, zu welch bedeutender Rolle ihn das Schicksal auserkoren hat. Dies ist der bequemere Teil unserer Aufgabe, erfordert nur ein wenig Fingerspitzengefühl. Denn den Mann möchte ich sehen, der sich nicht gerne klar machen ließe, dass er, nur er, infolge seiner einzigartigen Veranlagung und seiner hervorragenden Fähigkeiten gerade auf diesem Gebiet zu eben diesem Posten prädestiniert sei. Das weitaus Schwierigere ist die Bearbeitung der Umwelt, vor allem der maßgebenden Prominenten. Aber auch da sind bei beharrlicher Arbeit schon beachtliche Erfolge erzielt worden. Als besonders wirkungsvoll hat sich hier vor allem das Talleyrand - System erwiesen.“
„ Wie – was ist das denn?“
„ Ein bisschen kompliziert, ein bisschen langwierig, aber sehr genial: Ich trete an die Freunde, an die wohlwollenden Gönner, ich kenne sie ja jetzt ganz genau – an jeden einzeln heran, bringe die Rede auf unseren Mann, ganz beiläufig, während wir vielleicht im Theaterfoyer auf und abwandeln. „Wissen Sie, was ich neulich gehört habe: man soll daran denken, Lord Dreamingham – aber bitte ganz unter uns! Selbstverständlich, kommt dann gewöhnlich zurück! Also Lord Dreamingham hätte Anwartschaft auf einen Botschafterposten. – Wie? Lord Dreamingham? Ist mir ganz neu. – Es wird aber schon verschiedentlich gemunkelt. – Wo soll er hinkommen? – Nach Berlin. – Alle Wetter! Glauben sie daran? – Ah ja! Er ist ein hervorragender Kopf, ein stiller, aber um so tieferer Denker, für Deutschland gerade das Richtige!
Das war Nummer eins! Beim Zweiten wagt man vielleicht schon zu sagen: Haben sie mir das nicht neulich erzählt? – Was denn – Nun, dass Lord Dreamingham Botschafter in Berlin werden soll – Gehört habe ich auch schon davon.
In dieser Weise wächst die Lawine weiter. Das ist aber erst der erste Akt. Wir lassen einige Zeit vergehen, dann ist die Sache noch nicht vergessen, dazu ging sie einem zu sehr auf die Nieren, aber die Eindrücke haben sich infolge des Hin- und Herventilierens dieser enorm wichtigen Frage schon ein wenig verwischt; Lord Atkinson oder Lady Westinghouse weiß nicht mehr, hat mir’s der oder die erzählt? Oder hab ich’s in der Gesellschaft zuerst gehört? Dann ist es Zeit, die Rundreise von Neuem anzutreten – ich weiß noch genau, mit wem ich gesprochen habe und diese Herrschaften kaufe ich mir jetzt von Neuem. Jetzt ist es nicht unvorteilhaft, wenn ich ganze Gruppen akquiriere, denn ich brauche jetzt Resonanz, ich brauche eine breitere Basis. Also greife ich mir offen im Klub, auf dem Ball, wo auch immer, meinen Lord Atkinson oder meine Lady Westinghouse heraus und frage ganz dumm: Sagen sie mal, waren sie das nicht, der mir neulich erzählte, Lord Dreamingham käme auf den Berliner Botschafterposten? Die Sache lässt mich doch nicht los. – Bei einem anderen führe ich mich gleich ein mit den Worten: Ich glaube wirklich, sie haben recht, Lord Dreamingham wird Botschafter in Berlin. Ihre Gründe haben mich vollständig überzeugt. – So schiebe ich’s diesem und jenem offen in die Schuhe, nur ganz selten erfahre ich dabei
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