Entflammt von deiner Liebe: Roman (German Edition)
befanden, waren sie so weit flussabwärts die einzigen Spaziergänger.
Schließlich räusperte sie sich und setzte den Spaziergang fort. »Lord Nash, hat mein Bruder Euch gesagt, dass wir recht vermögend sind?«
»Mir wurde diese Tatsache zur Kenntnis gebracht, ja.«
Sie lächelte verhalten. »Natürlich garantiert die Baronie meinem Bruder ein gutes Einkommen. Aber wir haben auch anderweitige Interessen.«
»Eure Familie besitzt Plantagen auf Barbados, nicht wahr?«
»Ja, aber die sind jetzt verpachtet, und mein Bruder ist zurzeit ohne Beschäftigung. Wir nennen noch ein Unternehmen unser Eigen – die Neville Shipping Company. Habt Ihr davon gehört?«
»Ich glaube nicht.«
»Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der Seehandel etwas ist, worüber sich ein englischer Gentleman Gedanken macht«, sagte sie nachdenklich. »Aber wir Nevilles haben keine solche Bedenken. Genau genommen könnte man sagen, dass wir mehr oder weniger im Handel tätig sind.«
»Viele Gentlemen investieren in solche Art von Geschäften, Miss Neville. Ich besitze einige Minen; Lord Ogle eine Eisenbahn – oder jedenfalls einen Teil von ihr. Ihr müsst also nicht so tun, als würdet Ihr und Rothewell ein Kurzwarengeschäft betreiben. Wo steckt Euer charmanter Bruder übrigens?«
Sie lächelte schwach. »Sharpe ist im letzten Moment für ihn eingesprungen«, antwortete sie. »Rothewell war darüber sehr erleichtert.«
»Er scheint ein sehr zurückgezogen lebender und verschlossener Mann zu sein. Er wirkt fast ein wenig geheimnisvoll.«
»Ihr habt recht.« Ihr fester blauer Blick wandte sich ihm wieder zu. »Und auch ich habe ein Geheimnis, Mylord«, sagte sie. »Kann ich mich noch einmal darauf verlassen, dass Ihr es bewahrt?«
Er lachte, obwohl er sich fragte, worauf sie hinauswollte. »Bitte, vertraut mir all Eure Geheimnisse an, meine Liebe«, entgegnete er. »Es wird mir gefallen, Euch in meiner Macht zu wissen.«
»Nash, seid bitte ernst«, tadelte sie.
Nash neigte den Kopf. »Natürlich habt Ihr mein Wort, Miss Neville«, sagte er jetzt ernster. »Bitte, was ist Euer Geheimnis?«
Langsam beugte sie sich zu ihm. »Neville Shipping gehört mir«, flüsterte sie. »Die Firma ist im Besitz der Familie – aber mein Bruder hat mir die Leitung überlassen. Es ist ein sehr profitables Unternehmen, wenn man die Tricks des Handels kennt.«
»Ich verstehe«, sagte er ruhig. »Und Ihr ... kennt all diese Tricks, richtig?«
Langsam legte sich ein verschmitztes Lächeln um ihren Mund. »Ich bin sehr gut in allem, was ich tue, Lord Nash. Würde es diese anständigen englischen Ladys nicht schockieren, wenn sie wüssten, dass ich jeden Morgen, während sie noch müßig bis zum Mittag in ihren Betten liegen und darauf warten, dass ihre Dienstmädchen ihnen ihre heiße Schokolade bringen, bereits zusammen mit Seeleuten und Hafenarbeitern in meinem kleinen Büro in Wapping sitze?«
Sie klang absolut ernst. »Sicherlich scherzt Ihr?«
Miss Neville hob eine ihrer dunklen, fein gezeichneten Augenbrauen und sprach mit überraschender Leidenschaft. »Nicht im Mindesten. Und wäre es mir überlassen, darüber zu entscheiden, sollte jeder Mensch einem Broterwerb nachgehen.«
»Gott behüte, Miss Neville.«
»Ich meine es sehr ernst«, beharrte sie. »Diese schreckliche Dekadenz, nur zu leben, um sich von anderen bedienen zu lassen, dieser ... dieser absolute Mangel an Antrieb oder Ehrgeiz – nun, ist es da noch ein Wunder, dass die Hälfte der Damen und Herren der guten Gesellschaft unter chronischer Langeweile leidet? Ihr Leben kennt keine Herausforderung. Keinen Sinn.«
»Und Euer Leben kennt das?«, fragte er. »Ich meine, ich zweifele nicht an Euren Worten, meine Liebe. Aber worin besteht dieser Sinn?«
Trotz der hellen Sonne funkelten ihre Augen vor Aufregung. »Handel zu treiben«, sagte sie. »Unternehmergeist. Der Nervenkitzel und die Herausforderung des Wettbewerbs – finanzieller Konkurrenzkampf. Das sind die Dinge, die die Welt bewegen, Lord Nash, nicht die dummen Intrigen der oberen Zehntausend, oder was Ihr sonst denken möget.«
Er lachte leise. »Sie werden niedergeschmettert sein, das zu hören, meine Liebe.«
Miss Neville zuckte die schmalen Schultern. »Oh, die Gesellschaft wird schon bald genug erkennen, dass die Herrschaft der elitären Oberschicht sich ihrem Ende zuneigt«, sagte sie. »Ein neues Zeitalter bricht an, Nash. Ein Zeitalter des Fortschritts und der Industrialisierung. England wird sich verändern –
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