Entflammt
Meriwether eine halbstündige Verschnaufpause verschafft. Ich wünschte, ich könnte ihr Leben in Ordnung bringen. Ihres und das von Dray.
Ich sorgte mich um die beiden. Ich wollte, dass sie sich besser fühlten, ein besseres Leben hatten. Und dann dämmerte es mir - ich sorgte mich auch um mich. Auch ich wollte ein besseres Leben führen. Wenn ich mich um mich selbst kümmerte, konnte ich mich auch um andere kümmern. River hatte schon wieder recht gehabt.
Wie ärgerlich.
Und ich erkannte noch etwas - ich hatte mich selbst daran gehindert, dunkle Magie zu praktizieren. Ich hatte mich entschieden, es nicht zu tun. Das war ein Fortschritt. Ganz sicher.
An diesem Abend war ich mit dem Abwasch an der Reihe und ich konzentrierte mich auf die Gegenwart, was im Grunde nur bedeutete, dass mir ganz klar wurde, wie sehr ich abwaschen hasste.
»Hast du schon mal über eine von diesen Restaurant-Spülmaschinen nachgedacht?«, fragte ich River, als sie den nächstenStapel Teller brachte. »Die wäre mit dieser Ladung in zwei Minuten fertig.« Ich wischte mit der Spülbürste über einen Teller und schwenkte ihn im heißen Seifenwasser. Ich hatte vergessen, Gummihandschuhe anzuziehen (ja, lasst uns im Chor War ja klar sagen), und meine Hände waren rau und rot. Sie sahen aus wie die Hände von einem schwedischen Fischer. Einem Mann. Einem alten. Ich musste an Nells weiche weiße Mädchenhände mit den perfekt manikürten Nägeln denken und mir kam die Galle hoch.
River lächelte und strich mir über den Rücken. »Ich weiß, wie wichtig es dir ist, Zeit zu sparen. Davon kann man schließlich nie genug haben.«
Ich grunzte und sie lachte.
Aber im Ernst, diese ganze Woche war purer Stress gewesen. Nell hatte ihre Kriegsführung intensiviert. Ich konnte nicht aufhören, an Reyn zu denken, erlebte immer wieder den Terror meiner Erinnerung an ihn, sowohl als Zerstörer meiner Kindheit als auch als derzeitigen Zerstörer meines Seelenfriedens. Ich musste an unsere fiebrigen Küsse denken und daran, wie entsetzt er ausgesehen hatte, als er mich schließlich erkannte. Es hatte ihn gleichermaßen entsetzt, dass ich ein »schlechtes Mädchen« war, das ihn in seinem Streben nach Perfektion zurückwerfen könnte, wie die Rolle, die er und seine Familie in meinem Leben gespielt hatten. Auch seine Welten prallten aufeinander.
Old Mac war unausstehlich gewesen. Ich litt mit Meriwether und Dray. Es war Winter, die Jahreszeit, die ich am meistenhasste, in der die Sonne spät auf-und früh unterging, in der es so kalt war, und dann noch Schnee und Eis. Wieso hatte sich River nicht zum Beispiel auf den Bahamas niedergelassen? Konnte sie dort keine Seelen retten? Doch. Hätte sie gekonnt. Wollte sie aber nicht.
»Vielleicht kann ich das einfach nicht.« Ich hatte nicht mitbekommen, dass ich es laut gesagt hatte, bis River sich umdrehte.
Jetzt, wo es raus war, war es raus. Ich schrubbte gereizt auf einem Teller herum. »Ich wasche Geschirr ab und werde vonHühnern gehackt und von hinterlistigen Weibern gepiesackt und freunde mich mit Teenagern an, deren Leben noch mieserist als meins, und ach ja, dann feiere ich noch eine Dauerparty mit dem Irren, der meine Eltern ermordet hat - ich meine, kann es noch besch ... eidener werden?«
River sah mich nur an.
»Ich bin eben nicht dazu gemacht, eine unsterbliche Pfadfinderin zu sein«, sagte ich müde. »All diese Lernerei, dasAkzeptieren der Vergangenheit und Durchleuchten meiner Innereien und Freundin sein und Regale auffüllen - das bin nicht ich.«
River sagte nichts und nach etwa einer Minute wappnete ich mich vor dem, was ich in ihren Augen sehen würde -
Enttäuschung? Ich schaute auf und sah ... ich weiß nicht.
Mitgefühl?
»Was willst du?«, fragte sie sanft.
»Ich will mich besser fühlen«, sagte ich wie beim letzten Mal. »Dass es nicht mehr wehtut.«
»Nein - was willst du wirklich?«
Ich biss die Zähne zusammen und atmete hörbar aus. »Ich will ... das Gefühl haben, als Mensch nicht total verschwendet zu sein.«
»Nein.« Sie schien sich ziemlich sicher zu sein. »Was willst du wirklich?«
Ich wollte schreien und diesen Teller auf dem Ausguss zerschmettern. »Ich will nicht dunkel sein.« Ich flüsterte die Worte fast nur - ich hatte sie bisher noch nie laut ausgesprochen. River sagte nichts, aber ich hatte trotzdem den Eindruck, dass das immer noch nicht die richtige Antwort war. Ein paar Augenblicke später
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