Entflammte Nacht
eine ebenso anstrengende Nacht folgen. Da Major Channing verschwunden war, sah Professor Lyall wirklich nur noch einen einzigen Ausweg: Er berief eine Rudelversammlung ein.
6
Unter dem Namen Tarabotti
E s war früh am Abend, bei Sonnenuntergang, als drei ungleiche Reisegefährten das letzte Luftschiff nach Calais bestiegen, bevor es von den Leinen losgelöst über die weißen Klippen von Dover schwebte. Kein Reporter hatte von der Abreise der berüchtigten Lady Maccon erfahren. Das mochte etwas damit zu tun haben, wie schnell sie auf die Veröffentlichung ihrer angeblichen Indiskretion reagiert hatte, oder vielleicht auch damit, dass die fragliche Dame inkognito reiste, indem sie auf völlig neue Weise aus dem Rahmen fiel: Statt ihrer modischen und doch äußerst praktischen üblichen Kleidung trug Alexia ein schwarzes Flugkleid mit Chiffonrüschen, gelbe Rockhaltegurte über dem Überrock und dazu einen grässlichen gelben Hut. Das verlieh ihr eine gewisse Ähnlichkeit mit einer aufgeblasenen Hummel. Es war eine wahrhaft geniale Verkleidung, gab sie doch der würdevollen Lady Maccon das Erscheinungsbild einer alternden Operndiva.
Begleitet wurde sie von einem gut gekleideten jungen Gentleman und dessen Kammerdiener. Eine solche Reisegesellschaft war die personifizierte Unschicklichkeit.
Madame Lefoux stürzte sich mit Begeisterung in die Rolle des jungen Liebhabers und umschwirrte Alexia mit hingebungsvoller Fürsorge. Sie hatte sich für diese Scharade einen außergewöhnlich echt aussehenden Schnurrbart angeklebt – ein großes schwarzes Ungetüm, das links und rechts über ihren Grübchen mit Wachs hochgezwirbelt war. Durch seine schiere Größe verbarg er viel von ihren weiblichen Zügen, allerdings hatte das Gestrüpp auch den unerwünschten Nebeneffekt, dass Alexia jedes Mal heftige Kicheranfälle bekam, wenn sie Madame Lefoux ins Gesicht sah.
Floote hatte es da leichter. Er glitt mühelos in seine alte Rolle des Kammerdieners zurück und schleppte Madame Lefoux’ Kisten und seinen eigenen Handkoffer hinter sich her, der ungefähr genauso alt war wie er und noch viel mitgenommener aussah.
An Bord wurden sie vom Personal mit kaum verhohlener Verachtung begrüßt und vom schockierten Rest der Passagiere gemieden. Man stelle sich nur vor, eine solche Beziehung offen zur Schau zu stellen! Abstoßend! Die sich daraus ergebende Isolation war Alexia nur recht. Auf Flootes Vorschlag hin hatte sie ihr Ticket unter ihrem Mädchennamen Tarabotti gekauft. Sie war nie dazu gekommen, nach der Hochzeit ihre Reisepapiere umändern zu lassen.
Madame Lefoux hatte anfangs Einwände dagegen erhoben. »Halten Sie das für klug, bedenkt man den Ruf Ihres Vaters?«
»Klüger als unter dem Namen Lady Maccon zu reisen, nehme ich an. Wer will schon gern mit Conall in Verbindung gebracht werden?«
Als sich Alexia sicher in ihre Kabine zurückgezogen hatte, riss sie sich den Hummel-Hut vom Kopf und schleuderte ihn quer durch den Raum, als wäre er eine giftige Schlange.
Während Floote sich geschäftig daran machte, die Koffer auszupacken, trat Madame Lefoux zu ihr und streichelte ihr über das nun aus seiner Gefangenschaft befreite Haar, als wäre Alexia ein verängstigtes Tier. »Nur unter den Übernatürlichen hat der Name Tarabotti eine besondere Bedeutung. Natürlich wird irgendwann jemand eine Verbindung herstellen. Ich hoffe, dass wir Frankreich schneller überqueren, als uns der Klatsch einholen kann.«
Alexia ließ sich die Streicheleinheit gefallen – es spendete ihr sogar ein wenig Trost. Vermutlich ging Madame Lefoux einfach nur zu sehr in ihrer Rolle auf. Immer voller Begeisterung bei der Sache, die Franzosen.
Sie nahmen das Abendessen in ihren Privatquartieren ein und verzichteten darauf, sich zum Rest der Passagiere zu gesellen. So frisch, wie die Speisen waren, und bei der Geschwindigkeit, mit der sie aufgetragen wurden, begrüßte das Personal diesen Schachzug. Die meisten Gerichte waren gedämpft – eine Art der Zubereitung, bei der viel vom Geschmack verloren ging.
Nach dem Abendessen verließen sie ihre Kabinen und machten sich auf den Weg zum Deck, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Amüsiert stellte Alexia fest, dass alle Passagiere, die dort bereits entspannt die abendliche Ätherbrise genossen, überstürzt das Deck verließen, als sie und ihre Reisegesellschaft dort erschienen.
»Snobs!« Madame Lefoux’ Grübchen zeigten sich schwach unter dem grotesken Schnurrbart. Sie lehnte sich
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