Entflammte Nacht
beträchtlicher Voraussicht, hatte nicht mit der Möglichkeit gerechnet, dass das Regiment anwesend und sowohl Lord Maccon als auch Major Channing nicht anwesend sein könnten.
Er gestattete dem Rudel, den Rest ihrer Mahlzeit ungestört zu beenden. Sie waren nervös und ein wenig unruhig. Lord Maccon sorgte sonst durch seine bloße Anwesenheit dafür, dass sie zahm blieben. Professor Lyall hätte zwar gegen jeden Einzelnen von ihnen im Kampf bestehen können, doch er hatte nicht das Charisma, sie in ihrer Gesamtheit in Schach zu halten, und wenn Lord Maccon weiterhin betrunken blieb, konnten sich ebenso gut von innerhalb des Rudels als auch von außen Probleme ergeben. Entweder das – oder England ging das Formaldehyd aus.
Gerade als die Gentlemen ihr Mahl beendet hatten, ertönte ein zaghaftes Klopfen an der geschlossenen Tür. Professor Lyall runzelte die Stirn. Er hatte Anweisung gegeben, dass sie nicht gestört werden durften.
»Ja?«
Die Tür öffnete sich knarzend, und ein sehr nervös aussehender Rumpet trat ein, in der Hand ein Messingtablett mit einer einzelnen Visitenkarte darauf.
»Bitte vielmals um Vergebung, Professor Lyall, Sir«, sagte der Butler. »Ich weiß, Sie sagten, nur im Notfall, aber die Claviger wissen nicht, was sie tun sollen, und die Dienstboten sind in Aufruhr.«
Professor Lyall nahm die Visitenkarte und las.
Sandalius Ulf, Anwalt. Messrs. Ulf, Ulf, Wrendofflip, & Ulf. Topsham, Devonshire. Darunter war in sehr kleiner Schrift ein weiteres Wort gedruckt: Einzelgänger.
Der Beta drehte die Karte um. Auf die Rückseite gekritzelt – mit Blut, wie es der Sache angemessen war – stand der verhängnisvolle Satz: Benennen Sie Ihren Sekundanten!
»Oh, na großartig!« Professor Lyall verdrehte die Augen. Und dabei hatte er sich an diesem Abend mit solch ausnehmender Sorgfalt gekleidet. »Mist!«
Lyall hatte einen großen Teil seiner Existenz als Werwolf damit verbracht zu vermeiden, ein Alpha zu werden. Nicht nur, dass er vom Wesen her für diese Aufgabe wenig geeignet war, er hatte auch kein Verlangen nach dieser Art von pysischer Verantwortung, ganz abgesehen davon, dass er nicht in der Lage war, die Anubis-Gestalt anzunehmen.
Für Unsterbliche hatten Alphas eine bemerkenswert kurze Lebensdauer, wie er im Lauf der Jahrhunderte hatte feststellen müssen. Das Vertrackte an der augenblicklichen Situation war, dass Professor Lyall seinen derzeitigen Alpha ziemlich gern hatte und nicht gewillt war, einen Regimewechsel hinzunehmen. Was bedeutete, dass es nur eine einzige jämmerliche Sache gab, die Lyall tun konnte, wenn aufstrebende Einzelgänger nach Woolsey kamen, um sich das Recht zu erkämpfen, Englands mächtigstes Rudel anzuführen, weil dessen Alpha Gerüchten zufolge außer Gefecht gesetzt war.
Er musste an Lord Maccons Stelle kämpfen!
»Lieutenant Bluebutton, würden Sie mir sekundieren?«
Darauf erhob eines der stärkeren und älteren Rudelmitglieder Einwände. »Sollte denn nicht ich an Channings Stelle Gamma sein?«
»Da sich das Regiment noch vor Ort befindet, sollte es besser ein ranghoher Offizier sein.«
Professor Lyall musste sich die militärische Unterstützung erhalten, doch da der Gamma fort war, könnte sich dies als schwierig erweisen. Major Channing mochte einem zwar gehörig auf den Senkel gehen, aber er war ein ausgezeichneter Offizier mit dem Ruf eines Raufbolds, und er genoss den Respekt von Soldaten und Offizieren gleichermaßen. Ohne ihn als Sekundanten brauchte Lyall einen anderen Offizier für diese Aufgabe, um die Einheit von Rudel und Regiment zu demonstrieren, falls er als letzten Ausweg Soldaten zur Unterstützung Woolseys hinzuziehen musste.
Es war eine wahrhaft abscheuliche Vorstellung, die Armee Ihrer Majestät dazu zu missbrauchen, einen Alpha-Putsch zu verhindern. Schon seit Königin Elizabeth erstmals Werwölfe ins Militär aufgenommen hatte, erfüllten sie ihren Dienst mit Hingabe, doch sie waren stets darauf bedacht gewesen, Militärdienst und Rudel-Protokoll voneinander getrennt zu halten. Dessen ungeachtet würde Lyall die Coldsteam Guards einberufen, wenn es nötig war.
Hemming war kein Beta, deshalb protestierte er weiter. »Ja, aber …«
»Meine Entscheidung ist endgültig.« Professor Lyall leerte seine Tasse Tee mit einem Schluck, erhob sich, wies Adelphus an, ihm zu folgen, und machte sich auf den Weg zur Garderobe.
Dort zogen sich beide Männer splitterfasernackt aus und hüllten sich in lange Wollumhänge, bevor sie
Weitere Kostenlose Bücher