Entflammte Nacht
einem sehr jungen Hausmädchen ordnungsgemäß eingelassen. Die Wohnung erwies sich als sauber und ordentlich, wenn auch ein wenig zu fröhlich dekoriert. Ivy Tunstell eilte so eifrig herbei, um ihn im Flur zu begrüßen, dass ihre dunklen Locken unter einer großen Spitzenhaube auf und ab wippten. Die Haube hatte eine Anhäufung blauer Seidenrosen über dem linken Ohr, die Mrs. Tunstell ein eigenartig verwegenes Aussehen verliehen. Sie trug zudem ein rosa Promenadenkleid. Lyall war froh, sie offensichtlich nicht in ihrer Nachtruhe gestört zu haben.
»Mrs. Tunstell, wie geht es Ihnen? Entschuldigen Sie vielmals, dass ich Sie zu so später Stunde aufsuche.«
»Willkommen, Professor Lyall. Wie schön, Sie zu sehen! Sie stören ganz und gar nicht. Obwohl mein lieber Tunny aus Ihrem Dienst ausgeschieden ist, hat er es noch nicht geschafft, sich Ihren Tagesablauf abzugewöhnen, und das kommt seinem erwählten Beruf ja auch entgegen.«
»Ach ja, wie geht es Tunstell?«
»Ist gerade in diesem Moment bei einem Vorsprechen.« Ivy führte ihren Gast in ein absolut winziges Empfangszimmer, das kaum genug Platz für das Sofa, die zwei Stühle und das Teetischchen bot. Das Dekor war eine Ansammlung aus Rosa, Blassgelb, Himmelblau und Flieder.
Professor Lyall hängte Hut und Mantel an einen spindeldürren Kleiderständer, der sich hinter die Tür drängte, und nahm auf einem der Stühle Platz. Ihm war, als würde er in einer Schüssel mit Osterkonfekt sitzen. Ivy ließ sich auf dem Sofa nieder. Das junge Mädchen, das ihnen ins Zimmer gefolgt war, sah die Herrin des Hauses fragend an.
»Tee, Professor Lyall? Oder würden Sie etwas … ähm, Blutigeres bevorzugen?«
»Tee wäre reizend, Mrs. Tunstell.«
»Sind Sie sicher? Ich hätte ein paar schöne Nierchen hier für eine Pastete morgen, und schließlich haben wir bald Vollmond.«
Professor Lyall lächelte. »Ihr Gatte hat Ihnen wohl einiges über das Leben mit Werwölfen erzählt, nicht wahr?«
Ivy errötete leicht. »Vielleicht ein wenig. Ich fürchte, ich war schrecklich neugierig. Ich finde Ihre Kultur faszinierend. Hoffentlich halten Sie mich nicht für impertinent!«
»Ganz und gar nicht. Aber wirklich, Tee wäre genau das Richtige.«
Ivy nickte ihrem Hausmädchen zu, und das junge Ding huschte aufgeregt davon.
»Wir haben nicht oft Besucher von Ihrem Format«, klagte Ivy.
Professor Lyall war zu sehr Gentleman, um die ehemalige Miss Hisselpenny darauf hinzuweisen, dass sie, indem sie mit Tunstell durchgebrannt war, das bisschen gesellschaftlichen Status, das sie besessen hatte, verloren hatte und deshalb für die meisten zu einer nicht gerade anstrebsamen Bekanntschaft geworden war. Nur jemand, der gesellschaftlich so hochgestellt war, wie Lady Maccon es gewesen war, konnte es sich leisten, eine solche Verbindung weiterhin aufrechtzuerhalten. Nun, da Alexia selbst in Ungnade gefallen war, galt Ivy regelrecht als eine gesellschaftlich Ausgestoßene.
»Wie steht es um den Hutladen?«
Mrs. Tunstells große haselnussbraune Augen leuchteten vor Vergnügen. »Nun, ich bin ja erst seit diesem einen Tag für ihn verantwortlich. Natürlich hatte ich ihn auch heute Abend geöffnet. Ich weiß ja, dass sich auch Übernatürliche unter Madame Lefoux’ Kunden befinden. Ach, Sie glauben ja gar nicht, was einem in einem Hutladen so alles zu Ohren kommt! Erst heute Nachmittag erfuhr ich, dass sich Miss Wibbley verlobt hat.«
In Sachen Klatsch hatte sich Ivy vor ihrer Hochzeit auf Alexia, die diesbezüglich bestenfalls interessiert und schlimmstenfalls begriffsstutzig war, verlassen müssen. Demzufolge hatte sich Ivy in dieser Hinsicht in einem permanenten Zustand der Frustration befunden.
»Dann bereitet es Ihnen also Vergnügen?«
»Unermesslich! Ich hätte nie gedacht, dass ein Gewerbe so unterhaltsam sein könnte. Heute Abend stattete uns Miss Mabel Dair einen Besuch ab. Die Schauspielerin, Sie haben doch schon von ihr gehört?« Fragend sah Ivy Professor Lyall an, und der Werwolf nickte.
»Nun, sie kam vorbei, um eine Sonderbestellung für Countess Nadasdy höchstpersönlich abzuholen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Countess überhaupt Hüte trägt. Ich meine …« Verwirrt sah sie Lyall an. »Sie verlässt ja nie das Haus, nicht wahr?«
Professor Lyall bezweifelte sehr, dass eine Sonderbestellung an Madame Lefoux von einer Vampirkönigin auch nur annähernd irgendeine wie auch immer geartete Ähnlichkeit mit einem Hut haben könnte, vom Transport in einer
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