Entflammte Nacht
vernehmen. Als wäre das noch nicht schlimm genug, war der Poltergeist bereits in Stücke zerfallen. Alexia konnte Unordnung nicht ausstehen, und da dieser Geist seine Fähigkeit, sich zusammenzuhalten, beinahe vollständig verloren hatte, war er in der Tat sehr unordentlich. Völlig zerstückelt huschte er als blasse, nebelhafte Schemen von Körperteilen in der modrigen Dunkelheit herum – hier ein Ellbogen, dort eine Augenbraue.
Alexia zuckte zusammen und quietschte leicht auf, als ihr ein einzelner Augapfel, aus dessen Blick jegliche Intelligenz verschwunden war, von einem Weinregal her anstarrte.
Außerdem stank es im Keller fürchterlich nach Formaldehyd und verfaultem Fleisch.
»Also wirklich, Mr. Lange-Wilsdorf!« Alexias Stimme war voller Missbilligung. »Sie hätten sich schon vor Wochen um diese unglückliche Seele kümmern müssen und es nie so weit kommen lassen dürfen.«
Er verdrehte entnervt die Augen. »Ganz im Gegenteil, weibliches Exemplar, ich habe dieses Haus gerade wegen des Geistes gemietet. Ich interessiere mich schon seit Langem für die Aufzeichnung der exakten Deanimationsstadien des homo animus. Doch seit meinen Schwierigkeiten mit dem Vatikan habe ich den Schwerpunkt meiner Studien auf Gespenster verlegt. Es ist mir gelungen, allein über diesen hier drei Abhandlungen zu verfassen. Mittlerweile, das muss ich zugeben, hat er sich schon ziemlich aufgelöst. Die Dienstboten weigern sich bereits, hier herunterzukommen. Ich muss mir meinen Wein selbst holen.«
Beinahe wäre Alexia durch ein vorbeischwebendes Ohr gelaufen. »Was höchst ärgerlich sein muss.«
»Doch es war hilfreich. Ich habe die Theorie, dass restlicher Animus auf Ätherwirbeln davongetragen wird, wenn die Bindung an den Körper schwächer wird. Ich glaube, meine Arbeit hier hat diese Theorie bewiesen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Seele von Äther getragen wird und sich ihre Verbindung zum Körper auflöst, wenn er sich zersetzt? Wie ein Stück Zucker im Tee?«
»Jawoll. Was sonst könnte das willkürliche Herumschweben körperloser Körperteile erklären? Ich habe den Leichnam ausgegraben, gleich dort drüben.«
Tatsächlich war in einer Ecke des Kellers ein Loch in den Boden gegraben worden, in dem der größtenteils skelettierte Leichnam eines Mädchens lag.
»Was ist dem armen Ding denn zugestoßen?«
»Nichts Besonderes. Ich konnte noch dringend benötigte Informationen aus ihr herausbekommen, bevor sie verrückt wurde. Ihre Eltern konnten sich die Beerdigungskosten nicht leisten.« Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf über diese Schande. »Als sich herausstellte, dass sie über ein Übermaß an Seele verfügte und zu einem Gespenst wurde, genoss es die Familie, sie noch um sich zu haben. Unglücklicherweise starben sie anschließend alle an Cholera und ließen sie zurück, sodass sich die nächsten Bewohner an ihr erfreuen konnten. Und so blieb es, bis ich daherkam.«
Alexia blickte um sich auf die treibenden Körperfetzen. Ein Zehennagel waberte in ihre Richtung. Tatsächlich trieben all die restlichen Körperteile langsam auf sie zu, wie Wasser, das auf einen Ablauf zuströmt. Es war sowohl unheimlich als auch verstörend. Dennoch zögerte sie. Ihr Magen und dessen problematischer Nachbar protestierten beide gegen den Geruch des Todes und das Bewusstsein darüber, was Alexia als Nächstes würde tun müssen.
Mit angehaltenem Atem ging sie neben dem Grab in die Hocke. Das Loch war einfach ins Erdreich des Kellerbodens gegraben worden, ohne den geringsten Versuch, die Leiche für übernatürliche Langlebigkeit zu konservieren. Das Kind konnte nicht lange ein richtiger Geist gewesen sein, bevor es die Verwesung in den Wahnsinn getrieben hatte. Das war eine grausame Sache.
Übrig geblieben war ein trauriges, zusammengekrümmtes kleines Skelett, dessen Fleisch bereits größtenteils durch Maden und Schimmel zersetzt worden war.
Vorsichtig zog Alexia einen Handschuh aus und streckte die Hand aus. Sie wählte eine Stelle am Kopf des Mädchens, die noch am wenigsten verwest aussah, und berührte sie dort mit der Fingerspitze. Das Fleisch fühlte sich unglaublich matschig an und gab mühelos nach, wie saftiger Biskuitkuchen.
»Igitt!« Angewidert riss Alexia ihre Hand wieder zurück.
Die schwach lumineszierenden Körperteilfetzen, die im Keller umherschwebten, verschwanden augenblicklich und lösten sich in der muffigen Luft auf, als Alexias außernatürliche Berührung die letzten
Weitere Kostenlose Bücher