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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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banalen Frauengeschichte zerstreiten.«
    »Na ja, so banal nun auch wieder nicht.«
    Endlich setzt sich Ruben und fährt fort:
    »Erinnert ihr euch an die Liebesgeschichte zwischen Moktar und Anna? Als seine Eltern ihm verboten, sich weiter mit ihr zu treffen, hat er in der Wohnung getobt wie ein Berserker. Er wurde nach Sainte-Anne gebracht, später beschloss dann sein Vater, ihn in die Heimat zurückzuschicken. Anna war am Boden zerstört. Einige Zeit später traf ich sie zufällig vor dem Picard am Boulevard Magenta. Wir haben zusammen einen Kaffee getrunken, und sie bat mich, nach seiner Rückkehr mit Moktar zu reden. In diesem Sommer haben wir uns noch mehrmals gesehen. Ich versprach ihr, mein Möglichstes zu tun. Aber als Moktar wiederkam, war er innerlich verändert. Irgendetwas Neues ging von ihm aus. Eine Art Macht, eine Aura. Es war gleichzeitig faszinierend und beängstigend. Als ich mit ihm über Anna sprechen wollte, fragte er mich, ob ich auf die Seite des Schaitan übergelaufen wäre. Mourad und Alpha waren dabei. Sie haben zwar versucht, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen, aber Moktars Reden berührten sie auf eine Weise, die ich nicht nachvollziehen konnte. Einsam und ziemlich traurig ging ich zu Anna und sagte ihr, dass sie die Hoffnung aufgeben soll. An diesem Tag ist es zwischen ihr und mir passiert. Für mich war die Zuspitzung der Dinge so schwer zu ertragen, dass ich es Moktar ins Gesicht sagen musste.«
    Er bricht ab und trinkt einen Schluck Tee. Mourad spricht weiter.
    »An diesem Tag waren nur wir bei Moktar. Der Fernseher lief. Videoclips auf M6, glaube ich. Als Ruben beichtete, was zwischen Anna und ihm geschehen war, erstarrte Moktar zur Salzsäule. Er begann, Koranverse zu murmeln, stand auf und ging schnurstracks auf Ruben zu, der sich in Richtung Haustür zurückzog. Alpha und ich packten Moktar, hielten ihn fest und schrien Ruben zu, sich schleunigst vom Acker zu machen. Wir schafften es, Moktar wieder hinzusetzen, aber der Singsang hörte nicht auf. Wir blieben bei ihm, bis sein Vater zurückkam. Am nächsten Tag wurde er in Maison-Blanche eingewiesen. Danach haben wir den Kontakt zu Ruben abgebrochen. Wir fanden es schockierend, dass er mit Anna geschlafen hatte, und gaben ihm die Schuld daran, dass Moktar wieder in die Klinik musste. Zweimal haben wir ihn dort besucht. Und dabei gerieten wir schließlich endgültig unter seinen Einfluss. Er war wie ein Heiliger. Die anderen Patienten lauschten ihm hingebungsvoll. Er sprach von seinem heimatlichen Dorf und dem Marabut. Er erklärte, wie rein man dort unten in der Wahrheit des Islam lebe. Ich weiß nicht, aber seit seiner Reise nach Marokko schien er etwas zu besitzen, das uns fehlte. Etwas Magisches. Als er aus der Klinik kam, folgten wir ihm in Haqiqis Gebetssaal und tauchten in seine Welt ab, in der von der Zeit des Propheten und den frommen Vorfahren gepredigt wurde. Und vom Weg, dem man folgen soll.«
    Ruben unterbricht ihn.
    »Die Sache mit Anna und mir hielt nicht lang. Danach fühlte ich mich unendlich einsam. Ich fing an, über mich selbst nachzudenken. Was war mir wichtiger – das Judentum oder der Hip-Hop? Als mein Vater auszog und meine Mutter sich den marokkanischen Chassidim des Viertels zuwandte, folgte ich ihr. Ich wurde ein anderer Mensch, und das war gut so. Zum ersten Mal fühlte ich mich ganz ich selbst. Glaubte ich zumindest. Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich Lauras Leiche. Und ich kann mich nicht mehr im Spiegel ansehen.«
    Aïcha und Bintou sind zutiefst bewegt. Unfähig, ein Wort zu sagen, notiert die blauäugige Frau Rachels Adresse auf dem Papiertischtuch und reißt die Ecke ab. Ehe sie Ruben den Fetzen hinhält, schreibt sie noch rechts darunter:
    »Morgen früh, 3.30 Uhr. Alle drei.«

39
    Die Säuberungsaktion ist immer das Schlimmste. Oder das Beste. Normalerweise ist Benamer immer mit Feuereifer dabei. Aber normalerweise muss er sich auch nicht von einem KO-Schlag erholen, den er von dem bekommen hat, der eigentlich das Opfer sein soll. Er hat sich nicht ausreichend vor Raymond Meyer in Acht genommen. Er ist jämmerlich. Er ist miserabel. Seine Selbstvorwürfe gehen so weit, dass er fast seine Aufgabe vergessen hätte. Enkell beobachtet ihn, wie er eine längst nicht mehr vorhandene Blutspur von der Heckscheibe des Scenic wienert. Er lässt ihm Zeit, sich zu erholen.
    »Kommst du, Aïssa? Sauberer wird die Scheibe bestimmt nicht mehr. Und wir müssen uns noch um die Leiche des Dicken

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