Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
Vom Netzwerk:
doch nie haben sie aussprechen können, warum es so ist. Zunächst schweigen sie. Schließlich bringt Onur für jeden eine Tasse Tee. Er kennt sie gut. Alle vier. Die jungen Männer nehmen jeder zwei Stück Zucker und rühren um. Ihre Schwestern sehen ihnen zu. Sie sind erstaunt und glücklich. Wie sehr haben sie ihre großen Brüder doch bewundert! Und geliebt. Bis alles auseinanderfiel und die Freunde sich trennten. Auf der einen Seite Moktar, Alpha und Mourad, Ruben auf der anderen. Die Moslems und der Jude. Die Frauen wissen, dass es erst seit Moktars Krankheit so ist. Mehr aber nicht. Ihre Brüder haben ihnen nie eine Erklärung geliefert. Doch von diesem Moment an haben die Jungs Rébecca, die kleine Schwester ihres ehemaligen Freundes fürs Leben, völlig ignoriert. Als hätte für sie die gesamte Familie Aboulafia von einer Minute zur anderen aufgehört zu existieren. Die Frauen waren tief getroffen. Als dann aber Ruben seinerseits begann, sie ebenso zu behandeln, beschlossen sie, nur noch darüber zu lachen.
    Die jungen Männer wissen, dass sie den Anfang machen müssen. Es ist Mourad, der als Erster spricht, obwohl er bei ausgeschalteter Drum Machine oft Schwierigkeiten mit Worten hat.
    »Okay, wir haben Mist gebaut. Aber ihr müsst uns auch verstehen. In diesem Land hier … die Moslems …«
    Ungläubig starren die jungen Frauen ihn an. Alpha legt seinem Freund die Hand auf den Arm, um ihn in die Realität des Augenblicks zurückzuholen.
    »Nein, nein, das ist nicht … Also, ich meine … Wir haben nichts getan … Ehrlich, wir haben nichts getan …«
    Mourads Stimme bricht. Als ob er plötzlich versteht – dort, vor seinem fast leeren Teeglas. Alpha löst ihn ab.
    »Genau das ist es. Wir haben nichts getan, und das macht uns schwer zu schaffen …«
    Er hebt die Augen zur Decke. Atmet ein und wieder aus.
    »Jeden Tag wache ich mit Lauras Bild vor Augen auf und schlafe damit wieder ein. Auch tagsüber kommt sie immer wieder zu mir. Ihr Rollenkoffer, ihre Uniform … Jeden Tag. Und auch die anderen, Sam, Moktar und dieser Feigling Haqiqi, der nicht mal dabei war … Und dann dieser komische Typ, ziemlich fett und extrem merkwürdig, der im Hintergrund saß und uns nur anstarrte, ohne etwas zu sagen. Wenn ich an den denke, läuft es mir kalt den Rücken hinunter.«
    Mit Tränen in den Augen greift Bintou nach seiner Hand.
    »Alpha, du musst alles sagen. Und dann gehen wir alle zusammen zur Polizei. Danach wird Laura dich in Frieden lassen, weil du das Richtige getan hast.«
    »Das Richtige …«
    Boys don’t cry . Alpha spricht mühsam weiter.
    »Nichts wird je wieder richtig sein. Nie mehr. Wir haben sie gewähren lassen. Wir haben zugehört und sind dann einfach fortgegangen. Wir sind Feiglinge.«
    Leere. Mourads Blick löst sich endlich wieder von seinem Teeglas und folgt einer vertrauten Gestalt, die den Imbiss betritt. Er grüßt den neuen Gast mit einem Lidschlag und spricht weiter, während der Neuankömmling zur Theke geht, um Onur zu begrüßen.
    »Haqiqi hat darauf bestanden, dass wir an der Versammlung teilnehmen. Er sagte, er braucht uns, um ein wichtiges Problem zu lösen. Moktar erklärte uns, dass wir zu diesem Zweck ausnahmsweise mit den Juden zusammenarbeiten würden. Das fanden wir zwar merkwürdig, aber da glaubten wir noch an ihn. Manchmal vertraute er uns kleine Missionen an, wie er es nannte: Flugblätter vor den Moscheen in Paris oder Évry verteilen, DVDs kopieren – einfache Dinge, die uns das Gefühl gaben, wichtig zu sein und für die Umma zu arbeiten. Es klingt vielleicht blöd, aber wir haben daran geglaubt. Und vor allem glaubten wir an Moktar. Er war seit frühester Kindheit unser Freund, aber seit seiner Reise nach Marokko hielten wir ihn für vergeistigt. Gott war an seiner Seite. Wir dachten, wenn wir ihm folgen, würden wir ganz von selbst die richtige Richtung einschlagen. Moktar also erklärte uns, dass es in unserem Viertel eine gefährliche Frau gibt. Laura hätte ihn schon mehrfach angeschaut. Haqiqi habe ihn auf die dreisten Blicke aufmerksam gemacht und ihn daran erinnert, dass es genau diese Art von Blick war, die ihn in seinem früheren Leben beinahe fehlgeleitet hätte. Er behauptete außerdem, dass es Laura gefiele, alle wahren Gläubigen des Viertels aufzureizen, und dass sie wahrscheinlich von Satan persönlich geschickt worden ist, um die Gemeinde durcheinanderzubringen. Bei diesen Worten sahen Alpha und ich uns an. Sam merkte es sofort, genau wie der

Weitere Kostenlose Bücher