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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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muss jetzt weiter, aber ich werde mal überlegen, was sich da machen lässt. Danke, dass Sie mit mir geredet haben. Das war nicht nur für Laura gut, sondern auch für Sie.«
    Sanft berührt sie Aïchas Rücken, bevor sie geht. Nach wenigen Schritten dreht sie sich noch einmal um.
    »Ich erwarte Sie morgen früh um zwei Uhr. Ich mache auch einen schönen, starken Kaffee.«
    Was soll sie jetzt machen? Wenn sie die Brüder verhört, besteht die Gefahr, dass Sam hellhörig wird. Im Augenblick haben Jean und sie aber noch nichts gegen ihn in der Hand. Sie muss es sacken lassen, ihre Gedanken ordnen, durchatmen und sich auf den abtrünnigen Zeugen Jehovas einstellen, der sie um drei in einer Brasserie an der Place de la Republique erwartet. Ihr Handy klingelt. Sie weiß sofort, dass es Ahmed ist, denn niemand sonst ruft von einer mit 01 beginnenden Nummer an.
    »Hallo Ahmed, leider habe ich es gerade ein wenig eilig. Geht es um den Klang meiner Stimme, oder liegt etwas an?«
    »Na ja, der Klang Ihrer Stimme, macht die Sache umso angenehmer, aber darum geht es jetzt nicht. Mir ist etwas eingefallen. Ich habe mich im Parc de la Villette ins Gras gelegt. Jemand spielte Djembé, und … tja … ich hätte da vielleicht eine Spur … Es geht um das Motiv. Das Motiv für das Verbrechen.«
    Ahmed berichtet Rachel in wenigen Sätzen von den Drohungen des Vaters nach Lauras Mitteilung, sie habe ihn in New York mit seiner Geliebten gesehen. Rachel wird bleich und sagt zunächst gar nichts.
    »Ahmed?«, hakt sie schließlich nach.
    »Ja?«
    »Tausend Dank, dass Sie angerufen haben. Ich muss mich sofort mit Niort in Verbindung setzen. Können wir uns um Viertel nach vier auf dem Revier treffen?«
    »Also …«
    »Okay, dann also nicht auf dem Revier. Aber Jean sollte dabei sein. Wie wäre es mit dem Café im Kino MK2 am Quai de Seine?«
    »Ich werde da sein.«
    Rachel beendet das Gespräch und ruft sofort die nächste Nummer an.
    »Hallo Commissaire Jeanteau.«
    »Hallo Lieutenant Kupferstein, ich wollte Sie auch gerade anrufen.«
    »Aha. Ist etwas passiert?«
    »Die Mutter Ihres Opfers ist in die Psychiatrie eingewiesen worden. Vincenzo Vignola hat den Aufnahmeantrag unterzeichnet.«
    »Oh. Commissaire, als Laura vor zehn Tagen das letzte Mal in Niort war, hat ihr Vater sie angeblich explizit bedroht. Die Bestätigung bekomme ich erst in knapp zwei Stunden, aber in der Zwischenzeit müssen wir Vincenzo Vignola unbedingt finden und verhindern, dass er abhaut.«
    »Ich rufe Sie zurück.«
    An einem Tisch auf der Terrasse des Thermomètre wartet ein Mann auf Lieutenant Rachel Kupferstein. Er ist etwa dreißig, trägt ein makellos gebügeltes, weißes Hemd, eine schwarze Weste, einen ordentlich gestutzten Bart und sieht sie an, ohne zu lächeln. Vor ihm steht ein halb volles Glas Mineralwasser. Auf dem Tisch liegt eine sorgfältig zusammengefaltete Le Monde . Rachel reicht ihm die Hand, setzt sich, winkt dem Kellner, bestellt einen Espresso mit Milch und beginnt ohne Umschweife.
    »Eigentlich hätte ich gern alles über die Organisation der Zeugen Jehovas gewusst, aber leider gibt es inzwischen dringendere Dinge. Was können Sie mir über Vincenzo Vignola sagen?«
    Während potterlover666 zu erzählen beginnt, wie Vignola die Kontrolle über sein Leben übernahm und ihn nach und nach zerstörte, schreibt Rachel schnell eine SMS an Jean.
    »MK2 Quai de Seine, 16 Uhr. Neues über Lauras Vater, Sam und 75zorro19.«
    »Angefangen hat alles 1999, zu Beginn des Sommers, kurz vor meinem Urlaub. Damals arbeitete ich in Niort bei der Post und hatte mir fünftausend Francs vom Mund abgespart, um mir einen Traumurlaub in Andalusien zu gönnen. Gegen Ende einer Versammlung im Königreichssaal fragte mich Vignola plötzlich vor allen anderen, wie ich Geld für mich selbst ausgeben könne, ohne Jehova dabei zu berücksichtigen. Er nannte mich einen Egoisten und fragte mich, ob ich zu den left behind gehören wolle. ›Willst du in Jehovas Königreich eingehen oder wieder zu Staub werden, wie die anderen left behind? ‹ Ich gab schließlich nach und überließ meine fünftausend Francs Jehova – will heißen: Vignola.«
    Er unterbricht sich. Wirkt ausgelaugt. Auch sieben Sommer später hat er die Bitterkeit noch nicht verdaut. Er hat sein Leben verfehlt. Er ist noch keine fünfunddreißig Jahre alt, aber seine Existenz ist sinnlos geworden und irgendwo im Sand verlaufen. Rachel allerdings hat keine Zeit für Mitgefühl.
    »Er manipuliert also auf

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