Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
wie das Mädchen selber in einem Boot heranruderte. Es hatte offenbar unsere Nöte keinem anderen anvertrauen wollen, wohl nicht einmal dem Liebsten, sofern es einen hatte. Sobald der Vater eingeschlafen war, berichtete die Kleine, sei sie durch ein Fenster gestiegen und davongeschlichen, habe das Boot einer Nachbarin ausgeborgt und kam uns jetzt allein zu Hilfe.
Ich wußte gar nicht, wie ich dem Mädchen danken sollte. Aber als ich meine Dankesworte murmelte, war die Kleine nicht weniger verlegen als ich. Wir sollten keine Zeit versäumen und keine unnützen Worte verlieren, riet sie. Der Erfolg unseres Vorhabens hänge davon ab, daß wir uns beeilten und den Mund hielten.
Kurz gesagt, das Mädchen setzte uns an der Küste von Lothian unweit von Carriden an Land, schüttelte uns zum Abschied rasch die Hände und war mit dem Boot schon weit draußen, auf dem Heimweg nach Limekilns, ehe wir seine Hilfsbereitschaft hatten loben und uns bedanken können.
Selbst nachdem die Kleine fortgerudert war, wußten wir nichts Rechtes zu sagen, denn nichts hätte dieser guten Tat wirklich entsprochen. Alan blieb lange Zeit kopfschüttelnd am Strande stehen.
Auch ich fand keine Worte. Dieses Mädchen hatte so schlicht und treuherzig gehandelt, daß mich so etwas wie Reue und Furcht beschlich Reue, weil wir uns der Ahnungslosigkeit der Kleinen bedient, Furcht, weil wir sie vielleicht in die Gefahren unserer Lage verwickelt hatten.
XXVII. Ich suche Mr. Rankeillor auf
Am nächsten Tage verabredeten wir, daß Alan bis Sonnenuntergang allein bleiben sollte. Sobald es dunkelte, würde er sich in den Feldern nahe dem Straßenrand verbergen, nicht weit von der Ortschaft Newhalls. Keinesfalls sollte er sich rühren, bis er mich pfeifen hörte. Zuerst schlug ich als Melodie »The bonnie house of Airlie« vor, das ich besonders gern hatte. Aber Alan widersprach, diese Weise sei zu bekannt, und daher könne zufällig ein Pflüger sie vor sich hin pfeifen. Statt dessen brachte er mir ein paar Takte einer Hochlandweise bei, die mir seit jenem Tage nie mehr so ganz aus dem Kopfe wollen und die mich wahrscheinlich bis zu meiner Sterbestunde verfolgen werden. Jedesmal wenn mir diese Melodie in den Sinn kommt, kehrt die Erinnerung an jenen letzten Tag der Ungewißheit zurück. Ich sehe Alan vor mir, wie er in der Mulde hockt, die Melodie pfeift und mut einem Finger den Takt dazu angibt, währen das Frühlicht langsam seine Züge deutlicher werden läßt.
Noch vor Sonnenaufgang hatte ich die lange Hauptstraße von Queensferry erreicht. Der Ort ist recht hübsch, mit ansehnlichen festen Steinhäusern, viele davon sind mit Schiefer verkleidet. Das Rathaus kam mir nicht so schön vor wie das von Peebles und die Straße auch nicht so prächtig, aber trotzdem schämte ich mich meiner schmutzigen Lumpen.
Als der Tag weiter vorrückte, Feuer in den Häusern angezündet, Fenster und Türen geöffnet wurden und die Leute auf die Straße hinaustraten, wuchsen meine Besorgnis und Mutlosigkeit immer mehr. Mir kam jetzt erst so recht zum Bewußtsein, daß ich keinen festen Boden unter den Füßen und keine eindeutigen Beweise für meine Rechtsansprüche hatte, ja nicht einmal einen Nachweis über meine Person erbringen konnte. Alles war hoffnungslos verworren. Man hatte mich gründlich betrogen, und meine Lage war fast ausweglos. Selbst wenn die Dinge so waren, wie ich sie mir vorstellte, würde es voraussichtlich Zeit kosten, meine Forderungen zu erfüllen. Aber mit nur drei Shilling in der Tasche und einen gehetzten und verfemten Freund, der zu Schiff nach Frankreich gebracht werden mußte, als Begleiter hatte ich wahrhaftig nicht viel Zeit zu verlieren. In der Tat, wenn meine Erwartungen sich nicht erfüllten, konnte uns beiden zu guter Letzt doch noch der Galgen blühen.
Während ich unablässig auf und ab ging und merkte, wie mich die Leute auf der Straße und von den Fenstern her mißtrauisch musterten, wie sie sich anstießen oder geringschätzig lächelnd miteinander tuschelten, packte mich von neuem eine böse Vorahnung. Es würde nicht so einfach sein, mit dem Advokaten ins Gespräch zu kommen, und noch schwieriger, ihn von der Richtigkeit meiner Angaben zu überzeugen.
Nicht um die Welt hätte ich es gewagt, einen dieser wohlanständigen Bürger anzusprechen. Ich hätte mich geschämt, ihnen in meinen schmutzigen Lumpen auch nur nahe zu kommen, und fürchtete außerdem, ausgelacht zu werden, wenn ich sie nach einem so reputierlichen Mann wie
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