Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Strande liegen sehen. Nun hör gut zu: Wenn wir in der Dunkelheit mit so einem Boot und mit einem anständigen und verschwiegenen Menschen, der es zurückbringen müßte, nach Lothian hinüberrudern könnten, dann wäre das Leben von zwei Menschen gerettet, das meine höchstwahrscheinlich und seines todsicher. Wenn wir aber kein Boot auftreiben können nun, dann bleiben uns auf Gottes weiter Welt noch bare drei Shilling, und ich gebe dir mein Wort, ich ahne nicht, wohin wir uns dann wenden und was wir tun sollen. Es bleibt uns wohl nur noch der Galgen. Sage selbst, Mädchen, willst du uns in solcher Not im Stich lassen? Kannst du ruhig im warmen Bett an uns denken, wenn der Wind im Kamin heult und der Regen auf das Dach prasselt? Kannst du dich am flackernden Kaminfeuer satt essen, wenn du dabei im Geiste diesen armen Kranken vor dir siehst, wie er sich im Moor vor Kälte und Hunger auf die Finger beißt? Denn ob er krank oder gesund ist, er muß weiter. Während das Messer ihm an der Kehle sitzt, muß er sich im Regen auf endlosen Landstraßen fortschleppen, und wenn er dann sein Leben auf einem Haufen harter Steine aushaucht, wird außer mir kein Freund bei ihm sein.
Ich sah wohl, in welchen seelischen Zwiespalt die Kleine bei diesen Vorstellungen geriet. Einerseits wollte sie uns helfen, fürchtete aber andererseits, vielleicht gar Übeltätern beizustehen. Daher beschloß ich, mich jetzt einzuschalten und ihr Gewissen mit einem Teil der Wahrheit zu beschwichtigen.
»Hast du schon mal etwas von Mr. Rankeillor gehört?« fragte ich. »Er wohnt in der Nähe der Fähre in Queensferry.«
»Von dem Advokaten«, versetzte die Kleine, »das will ich wohl meinen.«
»Nun siehst du, und den muß ich aufsuchen; daran merkst du, daß ich kein Übeltäter bin. Und ich will dir noch mehr sagen. Obwohl ich infolge eines schrecklichen Irrtums zur Zeit wirklich in Lebensgefahr schwebe, hat König Georg doch in ganz Schottland keinen treueren Untertanen als mich.«
Die Züge des Mädchens hellten sich bei meinen Worten sichtlich auf, während sich Alans Mienen verfinsterten.
»Nun, das ist ja besser, als ich erwartet habe«, sagte die Kleine. »Mr. Rankeillor ist ein angesehener Mann.«
Dann bat sie uns, aufzuessen und so rasch als möglich aus dem Weiler zu verschwinden. Wir sollten uns in dem kleinen Wäldchen am Strande verbergen.
»Ihr dürft mir vertrauen«, versicherte die Kleine, »Ich werde Mittel und Wege finden, Euch nach drüben zu bringen.«
Als sie das gesagt hatte, zögerten wir nicht eine Sekunde, schüttelten ihr die Hand, und die Abmachung war bekräftigt. Hastig aßen wir den Rest des Fleischpuddings auf und verließen die Ortschaft Limekilns, um rasch zu dem Wäldchen zu gelangen. Das kleine Gehölz bestand nur aus ein paar Holunder und Dornbüschen sowie einigen jungen Eschen. Das Gestrüpp war nicht dicht genug, als daß es uns vor den Blicken Vorübergehender verbergen konnte, aber es blieb uns nichts anderes übrig, als dort liegenzublieben und das schöne warme Wetter zugleich mit der Hoffnung zu genießen, nun bald erlöst zu sein. Dabei überlegten wir, was wir als nächstes tun mußten.
Während dieses ganzen Tages wurden wir nur einmal in Sorge versetzt, als sich ein wandernder Musikant in unserer Nähe niederließ, ein rotnasiger Trunkenbold, mit Triefaugen, dem eine große Flasche Whisky aus der Tasche hervorsah. Er erzählte uns von dem Unrecht, das ihm der Lordoberrichter des höchsten Gerichtshofes zugefügt hatte. Alle, bis hinunter zu den Friedensrichtern von Inverkeithing, hatten ihm nach seinen Worten übel mitgespielt.
Es schien ausgeschlossen, daß ihm zwei Männer, die sich während des ganzen Tages ängstlich im Gestrüpp verbargen und die offenbar müßig gingen, nicht verdächtig erscheinen sollten.
Solange er bei uns war, versetzte er uns mit neugierigen Fragen nach dem Woher und Wohin in Angst und Schrecken; und nachdem er weg war, wünschten wir nichts sehnlicher, als auch verschwinden zu können, denn daß er seinen Mund halten würde, war höchst unwahrscheinlich.
Der Tag ging ebenso warm und freundlich zu Ende, wie er begonnen hatte, und eine klare, stille Nacht brach an. In den Bauernhäusern und in den Ortschaften wurden die Lichter angezündet und verloschen eins nach dem anderen wieder.
Es mußte bereits nach elf Uhr sein, und wir wurden schon von allerlei Ängsten und Zweifeln geplagt, als wir Ruder in ihren Dollen knirschen hörten. Wir hielten Umschau und sahen,
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