Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Mr. Rankeillor gefragt hätte.
So schlenderte ich die Straße hinauf und hinab und schließlich bis zum Hafen hinunter. Dabei kam ich mir vor wie ein Hund, der seinen Herrn verloren hat. Unruhe verzehrte mich, und alle Augenblicke war ich nahe daran zu verzweifeln.
Es war inzwischen heller Tag geworden, etwa neun Uhr vormittags das Herumwandern hatte mich schon recht müde gemacht, als ich vor einem besonders stattlichen Haus in dem landeinwärts gelegenen Teil der Straße stehenblieb. Es war ein Haus mit blank geputzten Fenstern und blühenden Blumen davor. Die Mauern waren frisch verputzt. Auf der Schwelle saß ein Jagdhund; er gähnte und gehörte offenbar zum Hause. Ich ertappte mich dabei, daß ich diese stumme Kreatur beneidete; da ging die Tür auf, und ein Mann trat heraus. Sein gerötetes Gesicht hatte einen klugen und gütigen Ausdruck. Er trug, seinem Stand entsprechend, eine gepuderte Perücke und außerdem eine Brille. Ich war in einem so erbärmlichen Zustand, daß bisher niemand nach dem ersten flüchtigen Blick einen zweiten auf mich geworfen hatte, es sei denn aus Verachtung. Doch dieser alte Herr war, wie sich zeigte, von meinem kläglichen Aussehen so beeindruckt, daß er schnurstracks auf mich zukam und mich fragte, was ich begehre.
Ich erwiderte, ich sei in einer geschäftlichen Angelegenheit nach Queensferry gekommen, faßte mir, da er so freundlich lächelte, ein Herz und fragte ihn, ob er mir Mr. Rankeillors Haus zeigen könne.
»Ach«, sagte er, »es ist dieses Haus, aus dem ich gerade komme, und ein glücklicher Umstand will es, daß ich der Mann bin, den Ihr sucht.«
»Wenn das der Fall ist, Sir«, erwiderte ich, »dann bitte ich Euch, mir eine Unterredung zu gewähren.«
»Ich kenne weder Euren Namen, noch ist mir Euer Gesicht bekannt«, antwortete der Advokat.
»Ich heiße David Balfour«, sagte ich.
»David Balfour«, wiederholte der Advokat mit ziemlich lauter Stimme. Er schien sehr überrascht. »Und woher kommt Ihr, Mr. David Balfour?« fragte er und sah mich scharf an.
»Ich komme von sehr vielen ungewöhnlichen Orten, Sir«, erwiderte ich. »Aber wäre es nicht besser, wenn ich sie Euch unter vier Augen nennen dürfte?«
Mr. Rankeillor schien nachzudenken; dabei spielten seine Finger an der Unterlippe. Bald blickte er mich an, bald sah er auf den Bürgersteig hinunter.
»Ja«, sagte er schließlich, »das wird wohl das beste sein.«
Er nahm mich mit ins Haus und rief einer Person, die ich nicht sehen konnte, zu, er werde den ganzen Vormittag über beschäftigt sein. Dann führte er mich in ein verstaubtes, mit Büchern und Akten vollgestopftes Kämmerchen, setzte sich und forderte mich auf, Platz zu nehmen, obwohl mein Blick etwas besorgt von dem sauberen Sessel zu meinen verschmutzten Kleidern wanderte.
»Und nun«, begann der Advokat, »wenn ihr etwas Geschäftliches zu erörtern habt, so faßt Euch bitte ein Herz und kommt rasch zur Sache. Nec gemino bellum Trojanum orditur ab ovo 2 versteht Ihr das?« sagte er und sah mich wieder durchdringend an.
»Ich werde sogar befolgen, was Horaz damit sagen will, Sir«, erwiderte ich lächelnd, »und werde Euch sogleich in medias res 3 führen.«
Er nickte und schien sehr befriedigt. Natürlich hatte er die lateinischen Sätze eingeflochten, um mich zu prüfen. Obwohl ich mich etwas ermutigt fühlte, stieg mir das Blut in die Wangen, als ich hinzufügte:
»Ich glaube, daß ich ein gewisses Anrecht auf den Grundbesitz der Shaws habe.«
Er nahm ein Schreibheft aus der Schublade, legte es vor sich hin und sagte: »Also.«
Ich hatte meinen Pfeil abgeschossen und war verstummt.
»Weiter, weiter, Mr. Balfour«, sagte er. »Ihr müßt fortfahren. Wo seid Ihr geboren?«
»In Essendean, Sir«, erwiderte ich, »am 12. März des Jahres 1733.«
Anscheinend prüfte er diese Behauptung in dem Schreibheft nach. Was er damit beabsichtigte, war mir nicht klar.
»Euer Vater? Eure Mutter?« fragte er.
»Mein Vater war Alexander Balfour, Schulmeister in der Gemeinde zu Essendean, der Mädchenname meiner Mutter war Grace Pitarrow. Ich glaube, ihre Familie stammte aus Angus.«
»Habt Ihr irgendwelche Papiere, um Euch auszuweisen?« fragte Mr. Rankeillor.
»Nein, Sir«, sagte ich, »aber der Geistliche in Essendean, Mr. Campbell, hat sie, und sie könnten jederzeit herbeigeschafft werden. Auch wird Mr. Campbell meine Erklärungen bestätigen, und ich glaube auch nicht, daß mein Oheim mich Lügen strafen würde.«
»Womit Ihr Ebenezer
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