Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Ländereien gehörten und daß er morgen, wenn ihm der Sinn danach stand, ein Reitpferd besteigen konnte.
Solche und ähnliche Gedanken überfielen mich, während ich dasaß und durch das Fenster starrte, ohne darauf zu achten, was draußen vorging.
Ich erinnere mich, daß mein Blick an Kapitän Hoseason hängenblieb, der am Pier aufgetaucht war und streng auf seine Leute einsprach. Plötzlich wandte er sich um und kam ins Haus zurück. Er hatte nicht den schwerfälligen Gang eines Seemannes.
Dieser hochgewachsene und gutaussehende Kapitän wirkte sehr männlich und selbstbewußt. Sein Gesicht hatte immer noch den sachlich ernsten Ausdruck von vorhin. Sollten Ransomes Geschichten auf diesen Mann zutreffen? dachte ich voller Verwunderung. Das schien mir recht unglaubwürdig, denn sie paßten so gar nicht zu seiner Erscheinung. In Wirklichkeit war Kapitän Hoseason weder ein so guter Mensch, wie ich meinte, noch ganz so übel, wie Ransome ihn geschildert hatte, denn in seiner Brust wohnten zwei Seelen, und er ließ den guten und anständigen Kerl zurück, sobald sein Fuß die Planken seines Schiffes berührt hatte.
Als nächstes hörte ich, daß mein Oheim nach mir rief. Ich traf auf der Landstraße vor dem Gasthaus mit den beiden zusammen. Der Kapitän redete mich an. Er tat es mit einer für mich jungen Menschen äußerst schmeichelhaften und gewinnenden Vertraulichkeit.
»Sir«, sagte er, »Mr. Balfour hat mir viel Gutes von Euch erzählt, und mir gefällt Euer Aussehen. Ich wünschte, ich könnte länger hierbleiben, um Euch besser kennenzulernen. Na, wir wollen die Gelegenheit nützen. Ihr werdet auf ein halbes Stündchen mit mir an Bord der Brigg kommen; bis die Ebbe einsetzt, können wir ein Gläschen miteinander trinken.«
Nun brannte ich, mehr als ich es mit Worten ausdrücken kann, schon lange darauf, das Innere eines Schiffes zu besichtigen. Aber ich wollte mich keiner Gefahr aussetzen und erwiderte, mein Oheim und ich hätten eine Verabredung bei dessen Advokaten.
»Ja, ja, das hat er mir gesagt«, antwortete Mr. Hoseason, »aber das Beiboot wird Euch später am Pier, dicht bei der Stadt, an Land absetzen. Von da bis zu Mr. Rankeillors Haus ist es nur noch ein Katzensprurng.«
Plötzlich beugte er sich zu mir herunter und flüsterte mir zu: »Hütet Euch vor dem alten Fuchs; er führt etwas Böses im Schilde. Kommt mit an Bord, damit ich Euch mehr darüber sagen kann.«
Dann schob er seinen Arm unter meinen und fügte, während er auf das Beiboot zuging, mit lauter Stimme hinzu: »Nun sagt mir, was soll ich Euch aus Carolina mitbringen? Mr. Balfours Freunde brauchen nur einen Wunsch zu äußern, und er wird erfüllt. Was wollt Ihr haben? Eine Rolle Tabak? Indianischen Federschmuck? Eine Steinpfeife? Eine Spottdrossel, die wie eine Katze miaut, wenn sie singt? Das Fell eines Raubtieres oder einen Kardinalsvogel in blutrotem Federkleid? Schnell, sagt, was Euch am meisten Spaß machen würde.«
Mittlerweile waren wir bei dem Boot angelangt, und er half mir beim Einsteigen. Ich dachte nicht mehr im Traume daran, mich zu widersetzen – armer Narr, der ich war. Einen Freund und Helfer glaubte ich gefunden zu haben und freute mich auch so sehr darauf, das Schiff betrachten zu können.
Sobald alle ihre Plätze eingenommen hatten, stieß das Boot vom Landungssteg ab und kam rasch in Fahrt. Meine Freude über dieses neuartige Erlebnis und meine Verwunderung, wie tief unterhalb der Küste wir entlangglitten sowie über das langsame Wachsen der Brigg, je näher wir an sie herankamen, war so groß, daß ich kaum begriff, was der Kapitän zu mir sagte; aber ich muß wohl irgend etwas darauf geantwortet haben. Als wir längsseits der Brigg anlegten, staunte ich über die Höhe der Bordwand und über das Rauschen des Wassers, das sich schäumend daran brach. Verwundert hörte ich die fröhlichen Rufe der Matrosen.
Hoseason erklärte mir, er und ich müßten als erste an Bord gehen. Dann gab er einem Matrosen den Befehl, von der Hauptrahe eine Talje herunterzulassen. Ich wurde emporgehoben und an Deck wieder niedergesetzt, wo der Kapitän mich schon erwartete und sofort wieder seinen Arm unter meinen schob.
Einen Augenblick blieb ich ganz benommen stehen, alles um mich her schien zu schwanken und sich zu drehen. Ich hatte ein wenig Angst und war gleichzeitig beglückt über den Anblick all dieser ungewohnten Dinge. Der Kapitän wies mit dem Finger auf einige der seltsamen Gegenstände und sagte mir, wie sie
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