Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
wurden.
Infolgedessen fand zwischen den drei Offizieren eine Besprechung statt, und es wurde ein Entschluß gefaßt, den ich nicht recht begriff und von dem ich nur das Ergebnis zu sehen bekam: Wir hatten einen widrigen Wind zu einem günstigen gemacht und steuerten jetzt südwärts.
Am Nachmittag des zehnten Tages ließ der Seegang nach, und ein dichter weißer Nebel hüllte die Brigg vom Bug bis zum Heck ein. Den ganzen Nachmittag waren, wenn ich an Deck kam, die Offiziere und Matrosen über die Reling gebeugt und lauschten ins Meer hinaus nach Brechern, wie sie sagten. Und wenn ich auch das Wort nicht verstand, so spürte ich doch die Gefahr und war aufgeregt.
Es mochte zehn Uhr abends sein ich trug Mr. Riach und dem Kapitän gerade das Nachtmahl auf, da gab es einen fürchterlichen Krach. Das Schiff war gegen etwas gerammt. Gleich darauf wurde draußen geschrien, und die beiden Männer sprangen auf.
»Wir sitzen fest«, schrie Mr. Riach.
»Nein, Sir«, sagte der Kapitän, »wir haben ein Boot gerammt.«
Und sie eilten hinaus.
Der Kapitän hatte recht. Wir hatten im Nebel ein Boot angefahren, das mitten durchgebrochen und mit Mann und Maus gesunken war, bis auf einen einzigen, der, wie ich später erfuhr, als Passagier im Heck gesessen hatte, die übrigen aber auf den Ruderbänken. Bei dem Zusammenstoß war das Heckteil des Bootes in die Höhe geschleudert worden, und der Mann, der die Hände frei gehabt hatte und einen nur bis zu den Knien reichenden wollenen Überrock trug – der ihm aber auch hinderlich gewesen war –, hatte den Bugspriet unseres Seglers zu fassen bekommen, was bewies, daß er Glück gehabt hatte und sehr wendig und kräftig sein mußte, sonst hätte er sich in einer so bedrohlichen Lage nicht so schnell zu helfen gewußt. Er sah übrigens, als der Kapitän ihn in die Kajüte brachte, so kühl und gelassen aus wie ich selber.
Er war klein und schmächtig, aber gut gebaut und behende wie eine Gemse; sein sonnengebräuntes, sommersprossiges Gesicht, das außerdem mit Pockennarben übersät war, hatte einen gütigen, offenen Ausdruck. Die ungewöhnlich hellen Augen sprühten von fiebriger Unternehmungslust, was zugleich anziehend und beängstigend wirkte. Als er seinen Überrock auszog, legte er ein paar schöne silberbeschlagene Pistolen auf den Tisch, und ich sah, daß er einen langen Degen umgeschnallt trug. Sein vornehmes Benehmen schien dem Kapitän Vertrauen einzuflößen. Im ganzen gewann ich den Eindruck, daß es wohl besser sei, sich diesen Mann zum Freunde zu machen.
Auch der Kapitän stellte seine Beobachtungen an, die aber anscheinend mehr der Kleidung des Fremden als seiner Person galten. Ja wirklich, nachdem er den Überrock abgelegt hatte, nahm er sich in der Kajüte einer Handelsbrigg reichlich elegant aus mit seinem federgeschmückten Hut, seiner roten Weste, den schwarzsamtenen Hosen und dem blauen Tuchrock, an dem schöne silberne Knöpfe und Silberborten glänzten. Es waren kostbare Kleider, wenn auch dadurch, daß er vermutlich darin geschlafen hatte, und durch den Nebel ein wenig mitgenommen.
»Ich bedaure den Zwischenfall mit Eurem Boot, Sir«, sagte der Kapitän.
»Es waren ein paar brave Burschen darin«, sagte der Fremde, »Männer, für die ich gern zehn solcher Boote hergeben würde, wenn ich sie auf dem Trocknen wüßte.«
»Waren es Eure Freunde, Sir?« fragte Hoseason.
»Solche Freunde gibt es bei Euch zulande nicht«, war die Antwort, »ein jeder von ihnen wäre für mich in den Tod gegangen wie der treueste Hund.«
»Nun«, meinte der Kapitän, der den Fremdling noch immer beobachtete, »es gibt mehr Menschen auf der Welt als Boote, um sie aufzunehmen.«
»Das stimmt«, erwiderte der Fremde, »Ihr scheint ja sehr scharfsinnig zu sein.«
»Ich war in Frankreich«, bemerkte der Kapitän, und es war klar, daß er damit mehr sagen wollte, als die bloßen Worte bedeuteten.
»Gut und schön, Sir, aber Ihr seid nicht der einzige, der das von sich behaupten darf. Manch einer kann sich dessen rühmen.«
»Ja, und auch ohne Zweifel seines feinen Rockes.«
»Oho«, schrie der Fremde, »daher weht der Wind!« Und rasch griff er nach seinen Pistolen.
»Nicht so hastig, Sir«, beschwichtigte der Kapitän, »richtet kein Unheil an, ehe es nötig ist. Ihr tragt auf Eurem Leibe den Rock eines französischen Soldaten, aber in Eurem Munde tragt Ihr eine schottische Zunge, soviel ist sicher. Na ja, heutzutage kommt so was bei manchem anständigen Kerl vor;
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