Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
genauso unwirtlich wie die Insel, die ich eben verlassen hatte: überall Sumpfgelände, Gestrüpp, Felsblöcke. Für diejenigen, die sich hierzulande gut auskennen, mag es auch richtige Wege geben, aber ich mußte irgendwie, immer der Nase nach, weiterwandern und hatte als Wegweiser nur den Ben More vor mir.
So gut es ging, lenkte ich meine Schritte zunächst dorthin, wo der Rauch aufgestiegen war, den ich von der Insel aus immer wieder beobachtet hatte.
Trotz meiner Mattigkeit und des unwegsamen Geländes kam ich zwischen fünf und sechs Uhr nachmittags zu dem Haus, das in einem Talgrund lag.
Es war ein niedriges längliches Häuschen, mit Grasnarbe gedeckt und aus Steinen ohne Mörtel roh zusammengefügt.
Davor, auf einer kleinen Anhöhe, saß ein alter Mann und schmauchte ein Pfeifchen.
Mit dem wenigen Englisch, das er radebrechen konnte, gab er mir zu verstehen, meine Schiffskameraden seien heil an Land gekommen und hätten am Tage nach ihrer Landung in seiner Hütte das Brot mit ihm geteilt.
»War einer dabei«, fragte ich, »der wie ein Edelmann gekleidet war?«
Er sagte, alle hätten derbe Mäntel angehabt; ja gewiß, der erste, der gekommen sei, hätte Kniehosen und lange Strümpfe getragen, die anderen aber Seemannshosen.
»Ach«, sagte ich, »und der erste hatte doch auch einen Federhut auf?«
Das verneinte der Alte; der Mann sei barhäuptig zu ihm gekommen wie ich.
Zuerst hielt ich es für möglich, daß Alan bei dem Schiffbruch seine Kopfbedeckung verloren haben könnte, dann fiel mir der Regen ein, und ich hielt es für wahrscheinlich, daß er den Hut unter seinem Mantel in Sicherheit gebracht hatte. Bei diesem Gedanken mußte ich lächeln, erstens vor Freude, weil mein Freund gerettet worden war, und zweitens, weil mir einfiel, wie eitel er sein konnte, besonders was seine Kleidung betraf.
Plötzlich schlug sich der alte Mann gegen die Stirn und rief, ich müßte wohl der Junge mit dem silbernen Jackenknopf sein.
»Natürlich bin ich das«, sagte ich verwundert.
»Oh«, rief der Alte, »dann habe ich dir etwas auszurichten: Du sollst deinem Freund über Torosay in seine Heimat nachfolgen.« Dann fragte er mich, wie es mir ergangen sei, und ich erzählte ihm meine Abenteuer. Im Süden hätten die Leute gewiß über meinen Bericht gelacht, aber der alte Herr – ich nenne ihn so, weil sein Benehmen auf eine gute Herkunft schließen ließ, wenn auch seine Kleidung so zerlumpt war, daß sie ihm fast in Fetzen vom Leibe fiel –, der alte Herr also hörte mir mit sehr ernster Miene und voller Mitleid zu. Als ich geendet hatte, nahm er mich bei der Hand, führte mich in seine Hütte, denn das Haus war kaum als etwas anderes zu bezeichnen, und stellte mich seiner Frau so förmlich vor, als sei sie eine Königin und ich mindestens ein Herzog.
Die gute Frau setzte mir Haferbrot und ein gebratenes kaltes Haselhuhn vor, klopfte mir auf die Schulter und lächelte dabei immerzu freundlich denn sie verstand kein Englisch.
Der alte Herr wollte nicht zurückstehen und braute mir einen starken Punsch aus selbstgemachtem Branntwein. Ich langte tüchtig zu, trank und wagte kaum, an mein Glück zu glauben. Obwohl Dach und Wände des rauchgeschwängerten Häuschens durchlöchert waren wie ein Sieb, kam ich mir vor wie in einem Palast.
Der Punsch verhalf mir zu einem gehörigen Schweißausbruch und zu einem tiefen und heilsamen Schlaf. Die guten Leute hatten mich nicht wecken wollen, und es war fast Mittag, als ich am nächsten Tage aufbrach. Mein Hals tat mir nicht mehr so weh, und die kräftige Kost, zusammen mit den guten Nachrichten, hatte meine Stimmung belebt. Der alte Herr weigerte sich hartnäckig, Geld von mir anzunehmen, das ich ihm aufzudrängen versuchte. Er schenkte mir noch eine alte Mütze, damit ich nicht barhäuptig umherzulaufen brauchte. Ich muß allerdings gestehen, daß ich dieses Geschenk, sobald ich von dem Häuschen aus nicht mehr gesehen werden konnte, an der nächsten Quelle erst einmal gründlich reinigte.
Wenn das die wilden Hochländer sind, dachte ich, dann wünschte ich wahrhaftig, meine Landsleute daheim wären ein bißchen wilder.
Ich war nicht nur spät aufgebrochen, sondern mußte außerdem die meiste Zeit in die Irre gegangen sein. Gewiß, ich hatte eine Menge Leute getroffen, die ihre kümmerlichen Äcker bestellten; mit dem Ertrag hätten sie kaum ihre Katze ernähren können. Andere hüteten Kühe, die nicht größer waren als Esel. Das Tragen der Hochländertracht war
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