Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
ungefährlich war. In diesem Teil des Landes herrschte kein mächtiger Clan. Kleinere und versprengte Überreste größerer Familienverbände besiedelten diese Gegend und verteidigten sie; dazu kam »herrenloses« Volk, Leute, die von den in den Kämpfen vordringenden Campbells in das wilde Gebiet um die Quellen des Forth und des Teith abgedrängt worden waren. Hier lebten Stuarts und Maclarens, was auf das gleiche hinauskam; denn die Sippe der Maclaren war im Kriege Alans Häuptling Ardshiel gefolgt und bildete mit der AppinSippe einen Clan. Es lebten hier auch viele Angehörige des alten, geächteten und gewalttätigen Stammes der Macgregors. Sie hatten stets einen üblen Ruf gehabt, der immer schlechter wurde, weil ihnen keine Partei in ganz Schottland so recht traute. Der Stammeshäuptling Macgregor of Marcgregor war verbannt, und der eigentliche Anführer des in Balquidder ansässigen Teiles dieses Stammes, James More, Rob Roys ältester Sohn, erwartete im Verlies von Edinburgh seine Verurteilung. Die Macgregors lebten mit den Hochländern und den Schotten aus den Niederungen, mit den Grahames, Maclarens und den Stuarts, in ständiger Fehde, und Alan, der die Streitigkeiten aller seiner Freunde, auch der entferntesten, zu seinen eigenen machte, wünschte nichts sehnlicher, als diesen Leuten aus dem Wege zu gehen.
Das Glück war uns hold; denn unsere Gastfreunde gehörten zu den Maclarens, bei denen Alan nicht nur seines Namens wegen willkommen war; auch sein Ruhm war bis zu ihnen gedrungen.
Hier wurde ich sofort ins Bett gesteckt und ein Doktor herbeigerufen, der meinen Zustand besorgniserregend fand. Ob er nun ein besonders tüchtiger Arzt war oder ob meine Jugend und meine Widerstandskraft mir geholfen haben, weiß ich nicht zu sagen; sicher ist, daß ich kaum eine Woche im Bett gelegen habe und, noch ehe ein Monat vergangen war, die Reise wohl und munter fortsetzen konnte.
Während dieser ganzen Zeit hatte sich Alan nicht aus meiner Nähe fortgeführt, obwohl ich ihn mehr als einmal dazu drängte. Sein tollkühnes Beharren, bei mir zu bleiben, wurde von den zwei oder drei Freunden, die in das Geheimnis eingeweiht waren, in der Tat schwer getadelt.
Am Tage versteckte er sich in einer im Walde verborgen liegenden Höhle und kam nur des Abends, wenn die Luft rein war, ins Haus, um mich zu besuchen. Ich brauchte nicht erst zu betonen, wie sehr ich mich gefreut habe, sobald er auftauchte.
Die Hausfrau fand, daß nichts gut genug sei, es einem solchen Gast vorzusetzen, und da Duncan Dhu so hieß unser Gastgeber einen Dudelsack im Hause hatte und sehr musikliebend war, wurde meine Genesung festlich begangen; wir machten die Nacht zum Tage.
Die Rotröcke ließen uns in Ruhe; nur einmal war ein Trupp von etwa zwei Kompanien im Talgrund vorübergezogen. Ich hatte sie von meinem Bett aus durchs Fenster beobachten können. Was aber viel erstaunlicher war, keiner von der Obrigkeit ist mir nahe gekommen, und ich wurde nicht nach dem Woher und Wohin gefragt. Trotz der unruhigen Zeiten blieb ich so unbehelligt, als hätte ich mich in eine Wüste verirrt. Und doch wußten kurz vor unserer Abreise alle Bewohner von Balquidder und seiner Umgebung von meiner Anwesenheit; viele von ihnen waren zu Besuch gekommen und hatten, wie es hierzulande Sitte war, die Neuigkeit von unserer Ankunft unter ihren Nachbarn verbreitet. Unsere Steckbriefe waren inzwischen gedruckt, und einer war am Fußende meines Bettes befestigt worden, so daß ich die nicht sehr schmeichelhafte Beschreibung meiner Person in riesigen Lettern vor mir hatte und dazu die Summe des auf meinen Kopf ausgesetzten Blutgeldes lesen konnte. Duncan Dhu und alle diejenigen, die wußten, daß ich in Alans Begleitung angekommen war, können nicht im Zweifel über mich gewesen sein, und noch eine ganze Reihe anderer muß es erraten haben; denn wenn ich auch meine Kleider gewechselt hatte, so waren sich doch mein Alter und mein Aussehen gleichgeblieben. In diesem Teil des Landes gab es gewiß nicht allzu viele achtzehnjährige Burschen aus den Niederungen Schottlands, zumal zu jenem Zeitpunkt, so daß die Leute leicht alles in Zusammenhang bringen konnten. So war die Lage.
Nun, in anderen Ländern kommt es gewiß auch vor, daß zwei oder drei gute Freunde ein Geheimnis hüten, und trotzdem kommt es dann irgendwie an den Tag. Aber bei den Clanleuten in Schottland weiß ein ganzer Landstrich darum, doch es könnten hundert Jahre vergehen, ohne daß ein Außenstehender
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