Entfuehrt
hier?«, wollte er wissen. Er blieb, wo er war, damit der Bus nicht aus dem Gleichgewicht geriet. Das hieß aber auch, dass er dem Drang widerstehen musste, sie zu packen und nach draußen zu tragen.
»Willst du mich jetzt anschreien oder mir helfen?«
»Isabelle, wenn du mich fragst, steckst du in ziemlichen Schwierigkeiten.«
Sie schaute auf den Jungen, den sie behandelte. »Er glaubt, er wäre ein harter Bursche, weil er ein SEAL ist«, sagte sie, während sie in aller Ruhe den intravenösen Zugang legte. Der Bus bewegte sich leicht, und sie hielt sich mit einer Hand fest. Mit der anderen hob sie den Infusionsbeutel über den Kopf des Jungen. »Bald geht es dir besser.«
»Isabelle, du musst hier raus.«
»Ich werde auf keinen Fall meinen Patienten im Stich lassen.«
»Ich bringe ihn raus. Du stehst jetzt sofort auf und gehst an mir vorbei nach draußen. Keine Widerrede.«
Der Wind, der zu einem beständigen Heulen angewachsen war, pfiff durch die zerbrochenen Fensterscheiben, was für die Stabilität des Busses auch nicht gerade hilfreich war.
Sie sah zu ihm auf und schien erst jetzt zu begreifen, was sie getan hatte und in welcher Gefahr sie schwebte.
»Du schaffst das«, versicherte er ihr. »Komm einfach auf mich zu. Mit gleichmäßigen, vorsichtigen Schritten. Wir treffen uns in der Mitte, und dann nehme ich deinen Platz ein.«
Sie nahm ihre Tasche und schlang sich den Riemen über Kopf und Schulter, ehe sie aufstand. Ganz langsam. Sie trat über den eingeklemmten Mann und begann, auf Jake zuzugehen.
Der Bus bewegte sich leicht, und sie blieb stehen. Sie starrten sich an.
»Alles in Ordnung. Atme. Und geh weiter«, befahl er ihr. Ihre Augen waren geweitet, und sie holte Luft. Langsam kam sie näher.
Als sie an ihm vorbeiging, standen sie für einen Moment Brust an Brust. Ihr Gesicht war nur wenige Zentimeter von seinem entfernt, und er kämpfte gegen den Drang, sie einfach hochzuheben und in Sicherheit zu bringen.
»Er ist ziemlich übel eingequetscht«, sagte sie leise. »Ich habe ihm was gegen die Schmerzen gegeben, aber ich wollte ihn nicht völlig außer Gefecht setzen. Er spürt beide Beine, und ich habe mir gedacht, ich brauche vielleicht seine Hilfe, um ihn da rauszukriegen.«
»Hilfe ist genau das, was ich brauche«, bemerkte er knapp.
»Ich habe keinen anderen Weg gesehen. Tut mir leid«, erwiderte sie.
Als sie an ihm vorbei war, arbeitete er sich langsam zum hinteren Teil des Busses vor.
»Sei vorsichtig«, rief sie ihm über die Schulter zu, bevor sie den Bus verließ. Ihre Worte ließen ihn zögern. Fast hätte er in dieser alles andere als komischen Situation laut aufgelacht.
Im nächsten Moment kniete er neben dem Kopf des Jungen und untersuchte ihn rasch im Schein seiner eigenen Stablampe.
Der Junge – und er war wirklich noch ein Junge – hatte Todesangst. Er hatte einen Schock. Seine Schulter und der Arm waren unter einem Doppelsitz, der sich gelöst hatte, eingeklemmt, und seine Atmung kam in hektischen kurzen Stößen. Jake fragte sich, wie es ihm wohl gegangen war, bevor Isabelle ihm ein Schmerzmittel verabreicht hatte.
»Wie heißt du?«
»Shane King, Sir. Ich hab dem Doc schon gesagt, dass sie nicht selbst hätte herkommen dürfen.«
»Sie hört nicht besonders gut.« Jake umfasste Shanes Fuß. »Spürst du das?«
»Ja, Sir.«
»Jake. Nenn mich einfach Jake.«
Welchen zusätzlichen Schaden Jake auch anrichten mochte, wenn er den Jungen befreite, alles war besser, als den armen Kerl hier sterben zu lassen. Er richtete seine Worte beinah grob an den jungen Soldaten, sie klangen wie Befehle und nicht wie Fragen oder Bitten. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Furcht stets motivierender war als Sympathie. »Wenn ich den Sitz anhebe, ziehst du dich darunter weg.«
»Ja, in Ordnung.«
Den Doppelsitz anzuheben, ließ Adrenalin durch seine Adern rauschen. So war es immer, wenn Gefahr mit im Spiel war, und als er dann auch noch spürte, wie der Bus sich leicht unter seinen Füßen bewegte, war er in seinem Element. Der Junge spürte es auch, und langsam, aber zielsicher kämpfte er sich unter dem Sitz hervor. Seine Schulter und insbesondere sein Arm schienen vollkommen kraftlos.
Er versuchte sogar, auf die Füße zu kommen, halb von Angst und halb von Tapferkeit getrieben. Aber er bewegte sich. Jake ließ den Sitz so behutsam wie möglich wieder sinken und spürte erneut die Bewegungen des Fahrzeugs unter seinen Füßen. Der Junge und er starrten einander
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