Entfuehrt
nicht anders: Immer wieder überlegte sie, wo sie heute wäre, wenn sie sein Angebot damals nicht ausgeschlagen hätte.
Doch darüber durfte sie jetzt nicht nachdenken. Nicht in dieser Situation, während sich die Szene, die sie einfangen wollte, vor ihrer Linse abspielte. Der afrikanische Fahrer hatte mit seinen Bemühungen, mit den Soldaten zu verhandeln, keinen Erfolg gehabt. Seine Fahrgäste wurden gezwungen, das Fahrzeug zu verlassen.
Du könntest sie retten … Du solltest es tun. Aber sie tat nichts. Sie hatte lernen müssen, sich gegen das Elend zu stählen. Noch mehr als vorher. Sie musste diese Sentimentalität endgültig abschütteln.
Sie wollte nicht mehr auf Rafe und sein Geld angewiesen sein. Sie wollte auf niemanden mehr angewiesen sein. Sie war einer ähnlichen Konstellation mit Clutch allzu nahegekommen. Sie hatte sich bei ihm geborgen gefühlt und war weich geworden.
Fast hätte sie bei diesem Gedanken laut gelacht. Als könne sie je weich werden. Nein, sie war hart, bestand aus Ecken und Kanten. Clutch war es gewesen, der sie mit seiner Gefühlsduselei überrascht hatte.
Dieser Kontrollpunkt war nur zwei Meilen von der Klinik entfernt. Sie hatte sich einen alten Landrover geschnappt und war hergekommen, weil die amerikanischen Zeitungen sie für Bilder wie diese gut bezahlten. Bilder, die amerikanische Journalisten nicht liefern konnten, weil sie Angst hatten, selbst herzukommen und sie zu machen. Aus gutem Grund.
Aber Sarah sprach die Sprache und verfügte über Verbindungen. Dennoch war es oft zu gefährlich, und ihr Überlebensinstinkt siegte in solchen Fällen meist über ihren Geldbedarf.
Dieses Mal war der Mann, von dem sie angeheuert worden war, ein Abenteurer. Ein Mann, der die Welt bereiste und nach gefährlichen Orten suchte. Aber weil er keine afrikanische Staatsbürgerschaft besaß, die es ihm erlaubte, den Kontinent so zu bereisen, wie es Sarah möglich war, arbeitete sie für ihn. Das hatte sie schon häufiger für ihn getan. Er zahlte pünktlich und mochte ihre Bilder.
Sie zündete sich mit der freien Hand eine Zigarette an, die Kamera ruhte auf ihrem Knie. Die Zigarette klebte an ihren Lippen, als sie den Fokus neu einstellte. Jeden Augenblick konnte es richtig hässlich werden. Die Soldaten trugen Waffen und brüllten die drei Männer und die Frau an, die Missionare zu sein schienen. Hektisch suchten sie in ihren Taschen nach irgendetwas, das es ihnen erlaubte, die Grenze zu passieren.
Als die Soldaten begannen, einen der Männer auf die Knie zu zwingen, schoss Sarah Fotos.
Sie überschritt ihre eigene Grenze.
7
Jake war vielleicht süß – obwohl süß vermutlich das falsche Wort war –, als er noch draußen stand. Doch sobald er mit ihr im Wagen saß, gab er ihr Saures. Und zwar aus allen Rohren.
»Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?« Er knallte den Rückwärtsgang rein und lenkte den Wagen überraschend heftig zurück auf die Straße. »Weißt du was, du brauchst mir keine Antwort zu geben. Ich kenne sie nämlich schon: Du hast einfach nicht nachgedacht.«
»Ich habe gearbeitet. Habe meinen Job gemacht. Und ich bin es leid, dass mir andere Leute sagen, was ich tun darf und was nicht«, murmelte Isabelle. Sie wusste selbst, wie defensiv sie klang.
»Ich habe nie gesagt, du darfst nicht, Isabelle. Offenbar hast du ein Händchen dafür, dich in Schwierigkeiten zu bringen.«
»Ich will genau das tun, wozu ich Lust habe. Ich will alles tun können. So wie ich es früher getan habe.«
»Dein Onkel würde dich umbringen, wenn er wüsste, was du gemacht hast.«
»Seit wann bist du denn mein Aufpasser?«
Er antwortete nicht, sondern murmelte nur etwas vor sich hin, während er auf dem Fahrersitz herumrutschte. »Du bist ziemlich dickköpfig.«
»Tja, ich bin nicht einfach. Das war ich noch nie.«
»Du bist noch lange nicht wieder dieselbe wie früher«, knurrte er.
»Woher weißt du das?«
»Du gehst unnötige Risiken ein. Darum weiß ich es.«
»Du bist dasselbe Risiko eingegangen wie ich.«
»Ich bin darin ausgebildet worden, Risiken wie dieses einzugehen, Isabelle. Das letzte Mal, als ich mich danach erkundigt habe, bekamen Chirurgen keine derartige Ausbildung.«
»Es ist also absolut in Ordnung, wenn du etwas so Gefährliches …«
»Du hättest jemanden wissen lassen sollen, was du vorhattest.«
»Hast du das denn getan?«, fragte sie.
»Bei mir ist das etwas anderes.« Seine Hände schlossen sich um das Lenkrad, und er fuhr um eine scharfe
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