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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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rief ich, bemüht, mit ihm Schritt zu halten.
    »Das fragen Sie? Ins Haus des Postlers! Vielleicht ist Lind noch dort. Er weiß ja nicht, daß wir sein Versteck entdeckt haben!«
    Zu Fuß war es zu weit, doch die Mietdroschken hatte die Polizei alle für den Abtransport der Leichen beschlagnahmt – die Verletzten waren schon am Morgen in die Krankenhäuser gebracht worden. Ein Wagen nach dem anderen fuhr in Richtung Twerskaja-Tor, und in jedem lag eine traurige Fracht.
    Von einem Grüppchen blauer Uniformen begleitet, gingPolizeipräsident Lassowski vorüber. Ich drehte hastig das Gesicht weg und machte mir erst später klar, daß er mich in meiner jetzigen Erscheinung kaum wiedererkannt hätte. Ganz zu schweigen davon, daß ihm Afanassi Sjukin zur Zeit völlig egal war. Die Entführung des Großfürsten und selbst das Verschwinden des »Orlow« waren verblaßt angesichts der Tragödie, die sich hier ereignet hatte. Ein solches Unheil zu Regierungsbeginn eines Zaren hatte es in Rußland seit dem 14. Dezember 1825 nicht mehr gegeben. Mein Gott, was für ein weltweiter Skandal! Und was für ein schreckliches Omen für die künftige Herrschaft!
    Das Gesicht des Polizeipräsidenten war blaß und unglücklich. Wie auch anders – ihn würde man in erster Linie zur Verantwortung ziehen. Mit der Absetzung war es da nicht getan. Zwar war für die Ausrichtung der Krönungsfeierlichkeiten der Moskauer Generalgouverneur zuständig, aber sollte man den Onkel Seiner Majestät vor Gericht stellen? Doch einer von der Moskauer Obrigkeit mußte den Kopf hinhalten. Wieso hatte niemand vorausgesehen, daß so viel Menschen zusammenströmen würden? Warum war kein stärkerer Kordon gebildet worden?
    Fandorin straffte sich und salutierte zackig dem Polizeichef, aber der würdigte ihn keines Blicks.
    »Ausgezeichnet«, sagte Fandorin halblaut. »Da ist ja auch die Equipage.«
    Ich sah etwas weiter weg die bekannte Kutsche des Polizeipräsidenten, bespannt mit einem Paar Rappen. Auf dem Bock thronte der Kutscher Sytschow, in der Moskauer Presse häufig erwähnt im Zusammenhang mit den täglichen Ausfahrten, die der unermüdliche Polizeichef zur Aufspürung betrunkener Hausmeister und nachlässiger Polizisten unternahm.
    Fandorin hielt den Säbel fest und stürmte sporenklirrend zu der Equipage.
    »Eilmeldung!« rief er dem Kutscher zu und sprang mit Anlauf in den Wagen. »Los, Sytschow, schlaf nicht! Befehl des Herrn Polizeipräsidenten!« Er wandte sich mir zu und legte die Hand an die Mütze. »Exzellenz, ich bitte Sie inständig, beeilen Sie sich!«
    Der Kutscher drehte sich nach dem schneidigen Offizier um und blickte dann mich an. Obwohl ich eine einfache Jacke trug, die von dem deutschen Banditen stammte, schien sich Sytschow nicht sonderlich zu wundern. An so einem verrückten Tag war alles möglich.
    »Machen Sie ein d-drohendes Gesicht«, flüsterte Fandorin und setzte sich mir gegenüber. »Sie sind ein hohes Tier. In der Kutsche darf schließlich nicht jeder mitfahren.«
    Ich nahm eine hoheitsvolle Haltung ein, wie es einer bedeutenden Person zukam, rollte mit den Augen und legte die Stirn in staatsmännische Falten. Gott sei Dank hatte ich in meinem Leben genug Minister und Generäle gesehen.
    »Fahren Sie los, Sytschow!« schnarrte Fandorin und knuffte den ehrwürdigen Kutscher in den Rücken.
    Sytschow ruckte an den Zügeln, die wunderbaren Pferde fielen einmütig in Trab, und der Wagen schaukelte sacht auf weichen Federn.
    Von Zeit zu Zeit röhrte Sytschow im Baß: »Ach-tung!«
    Die geweißten Stämme der Alleepappeln flimmerten vorüber. Der traurige Zug der Fuhrwerke, mit Bastmatten abgedeckt, blieb immer weiter zurück. Passanten drehten sich um und blickten uns (so schien es mir) voller Angst und Hoffnung nach. Polizisten salutierten.
    Am Alexander-Bahnhof befahl Fandorin dem Kutscher zuhalten. Wir stiegen aus, Fandorin warf seine Visitenkarte auf den Ledersitz und bedeutete Sytschow mit einer Handbewegung, zurückzufahren.
    Wir stiegen in eine Mietdroschke um und jagten Richtung Mjasnizkaja.
    »Was ist da auf dem Chodynka-Feld passiert, Euer Wohlgeboren?« fragte der Kutscher. »Man erzählt, die Juden hätten Tollkraut in den Wein getan, und davon wär das Volk dermaßen sich geraten, an die hunderttausend Rechtgläubige sollen zerquetscht worden sein. Stimmt das?«
    »Dummes Gerede«, antwortete Fandorin kurz. »Fahr zu!«
    Wir bogen donnernd in die bekannte Gasse ein. Fandorin sprang aus dem Wagen und winkte

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