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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Schlafzimmer unter. Ich legte die Ärmste aufs Bett, deckte sie rasch mit einer Decke zu und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Fandorin setzte sich zu ihr und sagte: »Emilie, wir können keinen Arzt zu Ihnen rufen. Monsieur Sjukin und ich leben sozusagen in der Illegalität. Wenn Sie erlauben, werde ich Sie untersuchen und die Wunden und Verletzungen versorgen, ich habe da einige Fertigkeiten. Sie brauchen sich nicht vor mir zu genieren.«
    Auch das noch, dachte ich empört. Was für eine unerhörte Frechheit!
    Aber Mademoiselle fand Fandorins Angebot nicht unziemlich.
    »Nach Genieren ist mir jetzt nicht zumute.« Sie lächelte schwach. »Ich bin Ihnen für Ihre Hilfe sehr verbunden. Mir tut alles weh. Wie Sie sehen, sind die Entführer nicht gerade galant mit mir umgegangen.«
    »Afanassi Stepanowitsch, machen Sie W-Wasser warm«, ordnete Fandorin sachlich auf russisch an. »Und im Badezimmer habe ich Spiritus und Bleiwasserumschläge gesehen.«
    Ein schöner Doktor Pirogow! Dennoch führte ich alles aus, brachte auch saubere Servietten, Quecksilbersalbe und Pflaster, die ich in einem Schubfach im Toilettenzimmer gefunden hatte.
    Vor der Untersuchung blickte Mademoiselle schamhaft in meine Richtung. Ich wandte mich hastig ab, nicht ohne, wie ich fürchte, heftig zu erröten.
    Ich hörte das Rascheln leichten Stoffs. Fandorin sagte besorgt: »Mein Gott, an Ihnen ist ja keine heile Stelle. Tut es hier weh?«
    »Nein, nicht sehr.«
    »Und hier?«
    »Ja!«
    »Eine Rippe scheint gebrochen zu sein. Ich versuche es erst mal mit einem Pflaster … Und hier, unter dem Schlüsselbein?«
    »Wenn Sie drücken, tut es weh.«
    An der Wand hing ein Spiegel. Ich stellte mir vor, daß ich, wenn ich zwei unmerkliche Schrittchen nach rechts machte, sehen könnte, was auf dem Bett vorging, aber sogleich schämte ich mich des unwürdigen Gedankens und machte einen Schritt nach links.
    »Drehen Sie sich um«, befahl Fandorin. »Ich möchte Ihre Wirbel abtasten.«
    »O ja, da tut es weh, am Steißbein.«
    Ich knirschte mit den Zähnen. Das war ja nicht auszuhalten! Schade, daß ich nicht auf den Korridor gegangen war.
    »Jemand hat Sie getreten«, konstatierte Fandorin. »Eine sehr empfindliche Stelle. Ich lege eine Kompresse auf. Und hier auch … Halb so schlimm, das tut ein paar Tage weh und vergeht.«
    Wasser plätscherte, Mademoiselle stöhnte ein paarmal leise.
    »So, Athanas, jetzt Sie können sisch umwenden«, hörte ich schließlich und drehte mich sofort um.
    Emilie lag auf dem Rücken, bis zur Brust zugedeckt. An der linken Braue klebte ein kleines weißes Pflaster, ein Mundwinkel war gerötet von Quecksilbersalbe, und aus dem Ausschnitt des Hemdes schaute der Zipfel einer Serviette hervor.
    Ich vermochte Mademoiselle nicht in die Augen zu sehen und schielte zu Fandorin, der sich mit unbewegter Miene wie ein richtiger Arzt die Hände in der Schüssel wusch. Bei dem Gedanken, daß diese starken und schlanken Finger eben noch Emilies Haut berührt hatten, noch dazu an Stellen, an die ich nicht ohne Schwindelgefühle denken konnte, biß ich mir auf die Lippen.
    Am meisten verwunderte mich, daß Mademoiselle keinerlei Verlegenheit zeigte, sondern Fandorin mit einem dankbaren Lächeln anblickte.
    »Danke, Erast.«
    Erast!
    »Danke. Mir geht es jetzt viel besser.« Sie lachte leise. »O je, nun habe ich keine Geheimnisse mehr vor Ihnen. Als Ehrenmann sind Sie verpflichtet, mich zu heiraten.«
    Bei diesem gewagten Scherz errötete sogar Fandorin. Von mir ganz zu schweigen.
    Um das anstößige und quälende Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, fragte ich streng: »Und trotzdem, Mademoiselle Déclic, wo ist Seine Hoheit?«
    »Ich weiß es nicht. Kaum hatten wir den unterirdischen Gang verlassen, wurden wir getrennt und an verschiedene Orte gebracht. Der Junge war bewußtlos, und ich war auch halb ohnmächtig – ich hatte einen starken Schlag auf den Kopf bekommen, als ich versuchte zu schreien.«
    »Ja, ja«, hakte Fandorin ein. »Was versuchten Sie uns mitzuteilen? Sie riefen: ›Lind ist hier. Es ist …‹ Und dann kam nichts mehr.«
    »Ja, er hat mir den Mund zugehalten und mich mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Ich habe ihn erkannt, trotz der Maske!«
    »Erkannt?« riefen Fandorin und ich wie mit einer Stimme.
    Da hob Mademoiselle verwundert die Brauen und stellte die Frage, die Fandorin so verwirrte: »Was, Sie sind nicht darauf gekommen, wer Lind ist? Und ich war sicher, daß Sie mit Ihrem Verstand längst

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