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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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herrisch den Hausmeister herbei.
    »Wer wohnt dort?« Er zeigte auf das Haus des Postlers.
    »Der Postbeamte Herr Terestschenko!« meldete der Hausmeister und nahm mit dem Besen Haltung an.
    »Gedient?« fragte Fandorin streng.
    »Jawohl, Euer Wohlgeboren! Fjodor Swistsch, Gefreiter im sechsten Dragonerregiment Seiner kaiserlichen Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen!«
    »Hör zu, Swistsch. Wir sind hier, um diesen Terestschenko zu verhaften. Hier hast du eine Pfeife. Du gehst jetzt um das Haus herum und läßt die Fenster nicht aus den Augen. Wenn er herausklettert, pfeifst du, was das Zeug hält. Verstanden?«
    »Jawohl, Euer Wohlgeboren!«
    »Warte!« rief Fandorin den ehemaligen Gefreiten, der eilfertig dem Auftrag nachkommen wollte, zurück. »Hast du ein Brecheisen? Bring es her, und dann geh auf deinen Posten.«
    Wir stellten uns so auf die Vortreppe, daß wir von den Fenstern aus nicht zu sehen waren.
    Fandorin klingelte, dann klopfte er.
    »Terestschenko! Herr Terestschenko! Machen Sie auf, hier ist der Revieraufseher! Sie werden dringend zum Dienst beordert! Im Zusammenhang mit dem heutigen Ereignis!«
    Er legte das Ohr an die Tür.
    »Aufbrechen, Sjukin.«
    Ich hatte noch nie so ein derbes Werkzeug wie ein Brecheisen in der Hand gehalten und erst recht keine Tür aufgebrochen. Wie sich zeigte, war das gar nicht so einfach. Ich schlug gegen das Schloß, einmal, zweimal, dreimal. Die Tür erbebte, öffnete sich aber nicht. Da schob ich die abgeplattete Spitze in den Spalt und versuchte das Schloß wegzuhebeln. Ich schwitzte und ächzte, bekam aber die Tür nicht auf.
    »Hol Sie der Teufel, Sjukin, mitsamt dem Brecheisen!«
    Fandorin schob mich beiseite. Dann hielt er sich mit den Händen am Geländer fest, sprang hoch und trat mit beiden Beinen gegen die Tür. Sie flog auf und baumelte schief an einer Angel.
    Wir liefen rasch durch die Zimmer, Fandorin hielt einen kleinen schwarzen Revolver in der Hand.
    Niemand da. Am Boden herumgeworfene Kleidungsstücke, falsche Bärte, eine rote Perücke, etliche Spazierstöcke, Umhänge und Hüte, zerknitterte Banknoten.
    »Wir sind zu spät gekommen!« Fandorin seufzte. »Nur um Minuten.«
    Ich stöhnte vor Enttäuschung, aber er blickte sich in dem kleinen Salon aufmerksam um und sagte plötzlich leise: »Das ist ja interessant.«
    Auf einem kleinen Tisch am Fenster stand eine geöffnete Schatulle. Fandorin zog etwas Längliches heraus, das in seinen Fingern gelbe Funken sprühte.
    »Was ist das?« fragte ich verwundert.
    »Ich n-nehme an, das berühmte Diadem«, antwortete er und betrachtete mit Interesse die Krone, die mit kostbaren gelben Brillanten und Opalen dicht besetzt war. »Und da ist ja auch die Brillantagraffe der Zarin Anna, und die Saphirschleife der Zarin Eilisabeth, und das kleine B-Brillantbouquet mit dem Spinell, und diese, wie heißt sie gleich, Aigrette. Ich habe Ihrer Kaiserlichen Majestät versprochen, daß sie die Kleinodien aus dem coffret vollständig und unversehrt zurückbekommt. Und ich halte mein Wort.«
    Ich stürzte zu der Schatulle und erstarrte vor Andacht, wagte meinen Augen kaum zu trauen. Was für ein Erfolg! All die sagenhaften Preziosen, die die heilige Aureole des Herrscherhauses ausstrahlten, wurden der Krone wohlbehalten zurückgegeben. Allein das rechtfertigte Fandorins Abenteuer und stellte meinen ehrlichen Namen vollauf wieder her. Ein größeres Glück wäre nur die Rettung der Geiseln gewesen.
    Doch Fandorin freute sich aus ganz anderem Grund über den wunderbaren Fund.
    »Lind war e-eben erst hier und hat offenbar die Absicht, zurückzukommen. Erstens. Er hat wirklich niemanden mehr, er ist ganz allein. Zweitens. Und wir haben endlich eine gute Chance, ihn zu fassen. D-Drittens.«
    Ich dachte kurz nach und erriet: »Wenn er nicht zurückkommen wollte, hätte er die Schatulle mitgenommen, nicht wahr? Und wenn er noch Gehilfen hätte, müßten die hier die Schätze bewachen. Was machen wir nun?«
    »Zuerst die H-Haustür reparieren.«
    Wir liefen zurück in die Diele. Fandorins Fußtritt hatte eine Türangel herausgerissen, aber schlimmer war, daß sich vor dem Haus eine Schar von Gaffern eingefunden hatte, diemit gierigem Interesse auf die Fenster und die gähnende Türöffnung starrten.
    »Verdammt!« schimpfte Fandorin. »Wir haben solchen Krach gemacht, daß die ganze Straße zusammengelaufen ist, und in zehn Minuten wird das ganze V-Viertel hier sein! Bald wird die richtige P-Polizei auftauchen und alles

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