Entfuehrung nach Gretna Green
Lotion getränktes Tuch für ihre Stirn und einen heißen Ziegelstein für ihr Bett.
Sehr bald wurde klar, warum ihre Mutter gekommen war; jede ihrer Fragen bezog sich auf Gregors Antrag. Venetia weigerte sich, über dieses Thema zu sprechen und brachte das Gespräch auf ihre Abenteuer, darauf, wie Ravenscroft sie hinterhältig dazu gebracht hatte, mit ihm gemeinsam London zu verlassen, und aus welchem Grund die anderen im Gasthof gelandet waren. Dabei erwähnte sie Gregors Namen so gut wie gar nicht.
Als die Glocke zum Abendessen läutete, nahm ihre Mutter die leere Tasse, küsste Venetia auf die Stirn, half ihr ins Bett, legte den heißen Stein an ihre Füße und ging.
Erstaunt über den Takt, den ihre Mutter entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit gezeigt hatte, kuschelte Venetia sich unter die Decke und hoffte, sie würde bald einschlafen.
Diese Hoffnung erwies sich als vergeblich. Nachdem sie sich eine gute halbe Stunde im Bett hin und her geworfen hatte, stand Venetia schließlich auf und setzte sich vor das Feuer.
Es war ein verführerischer Gedanke, dass eine Heirat mit Gregor nicht nur ihren Ruf retten, sondern sie einander auch näherbringen würde. Vielleicht würde zwischen ihnen Liebe entstehen.
Was aber, wenn das nicht geschah? Wollte sie wirklich auf so einer unsicheren Grundlage eine Ehe beginnen? Was, wenn Gregor eines Tages auf ihre Ehe zurückblickte und sich um sein Lebensglück betrogen fühlte? Was, wenn es ihr so ging?
Sie konnte es nicht tun. Sie konnte die Chance nicht wahrnehmen, dass doch noch alles gut wurde ...
Energisch wurde die Tür aufgerissen.
Venetia fuhr herum, zur Hälfte überzeugt, sie würde direkt in ein Paar dunkelgrüne Augen sehen. Tatsächlich sah sie aber ihre Großmutter, die ein lilafarbenes, mit schwarzen Bändern verziertes Abendkleid trug. Auf ihrem Kopf thronte eine riesige rote Perücke, die sie erstaunlich winzig wirken ließ, und ihre Nadeln und Broschen, Halsketten und Armbänder blitzten vor Diamanten.
Gefolgt von ihrem hoheitsvoll dahinschreitenden Butler, hinkte die alte Frau ins Zimmer. Mit ihrem Krückstock wies sie auf den kleinen Tisch vor dem Feuer. „Stellen Sie das Tablett dorthin, Raffley.“
„Ja, Madam.“ Der Butler tat, wie ihm geheißen worden war. „Sonst noch etwas, Madam?“
„Nein, das ist alles.“ Mit einer Handbewegung schickte sie ihn hinaus.
Verwirrt betrachtete Venetia das Tablett, auf dem neben zwei gestärkten Leinenservietten eine Teekanne, zwei Tassen und ein kleiner Teller mit Obsttörtchen standen. „Das ist sehr nett von dir, Großmama, aber ich bin nicht hungrig.“
„Das ist auch nicht für dich. Es ist für mich.“ Großmutter hinkte zum Tablett und nahm sich eines der Törtchen. Sie biss herzhaft hinein und sagte mit vollem Mund: „Beim Abendessen ist mir der Appetit vergangen, weil dieses Miss-Platt-Wesen schwadroniert hat wie ein betrunkener Matrose.“
Venetia musste lächeln. „Ich verstehe.“ Sie ging zum Tisch und ließ sich auf einem der Stühle davor nieder. „Komm und setz dich. Ich werde den Tee einschenken.“
„Ich kann nicht sitzen, meine Hüfte bringt mich um. Aber ich werde ein wenig Tee trinken. Mit besonders viel Sahne, bitte.“ Sie nahm die Tasse entgegen, die Venetia ihr reichte, und sah ihrer Enkeltochter aufmerksam ins Gesicht. „Nun, Miss West? Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?“
„Ich sehe, du weißt schon alles“, stellte Venetia seufzend fest. „Das meiste jedenfalls. Nach dem, was deine Mutter mir sagen konnte - wie üblich war es nicht gerade leicht zu verstehen, so undeutlich, wie sie immer vor sich hinredet - und nach den Bemerkungen zu urteilen, die deine seltsamen, abgerissenen Mitreisenden während des Essens fallen ließen, habe ich mir einiges zusammengereimt.“
„Oh?“ Venetia bezweifelte, dass die alte Frau wirklich alles wusste.
Die Brauen über den klugen Augen schossen nach oben. „Dieser Dummkopf Ravenscroft ist übers Ziel hinausgeschossen, und MacLean ist bereit, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Unter diesen Bedingungen willst du ihn aber nicht haben, und deshalb hast du seinen Antrag abgelehnt. Ist das eine Kurzfassung der Geschichte?“
Mit einem Kloß in der Kehle nickte Venetia. „Ich kann natürlich nicht zulassen, dass Gregor sich opfert.“
„Warum nicht? Er ist ein Mann. Es ist seine Aufgabe,Verantwortung zu übernehmen.“
„Für die Fehler eines anderen? Nein. Es wäre etwas anderes, wenn ...“
„Wenn
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