Entfuehrung nach Gretna Green
„Natürlich. Ich 'werde Ihnen also die Zimmer zeigen und ... “
„Nein, vielen Dank“, sagte Venetia mit fester Stimme. „Ich hätte lieber mein übliches Zimmer im Westflügel, wenn ihr erlaubt. “
Viola legte die Stirn in Falten. „Deine Großmutter hat dir freundlicherweise das Blaue Zimmer angeboten, das viel schöner ist, Venetia.“
„Ich habe mich bedankt und das Angebot abgelehnt, Mama. Und das meine ich ernst.“
Die Witwe sah sie finster an. „Immer noch dickköpfig, stimmt’s?“
Gleichmütig erwiderte Venetia den Blick ihrer Großmutter. „Ich bin eine Oglivie.“
Die dünnen Lippen der Witwe verzogen sich zu einem Lächeln. „Das bist du, bei Gott. Nun gut, dieses Mal werde ich dir deinen Eigensinn durchgehen lassen. Aber erwarte nicht, dass meine Geduld ewig währt. Bring diese Rabauken auf ihre Zimmer, Viola. Ich mache zwar tagsüber kein Nickerchen, aber ich will meine Ruhe haben.“
Viola nickte, obwohl sie enttäuscht war, dass die Witwe nachgegeben hatte. Die alte Schachtel hatte keine Hemmungen, Viola herumzukommandieren - warum konnte sie das nicht mit Venetia tun, ganz besonders, da es um etwas so Wichtiges wie Violas künftiges Enkelkind ging?
Nachdem die Gäste sich höflich (und ohne dass ihnen Beachtung zuteilgeworden wäre) von der Witwe verabschiedet hatten, führte Viola sie durch die labyrinthartigen, schwach beleuchteten Flure des düsteren Hauses.
Viola war sicher, dass sich alle Gäste nach einem heißen Bad und einem weichen Bett sehnten, sie wusste aber auch, dass sie nichts dergleichen bekommen würden. Die Dienstboten waren alt und die Zimmer so weit vom Hauptflügel des Hauses entfernt, dass das Badewasser lauwarm sein würde, wenn es die jeweilige Wanne erreichte, und die Betten waren allesamt hart wie Stein, da sie niemals aufgeschüttelt und gewendet wurden. Weil sie vor lauter Neugier wegen Gregors Antrag fast platzte, brachte Viola ihre Tochter und Gregor ganz zum Schluss zu ihren Zimmern. Zunächst erreichten sie das Sonnenzimmer, jenen Raum, den Venetia üblicherweise bewohnte, wenn sie ihre Großmutter besuchte. Dieses Zimmer war so weit wie nur irgend möglich von Gregors Zimmer entfernt.
Venetia umarmte ihre Mutter. „Vielen Dank, Mama.“
„Ich werde Gregor zu seinem Zimmer begleiten und dann zu dir zurückkommen, sodass wir noch einen langen, gemütlichen Schwatz halten können.“
In Venetias Augen trat ein wachsamer Ausdruck. „Nicht jetzt, Mama. Ich bin zu müde. Ich denke, ich werde bis zum Abendessen schlafen.“
„Möchtest du keinen Tee? Oder vielleicht etwas Lavendelwasser, um dich ...“
„Nein danke. Ich möchte einfach nur schlafen.“ Sie machte einen kleinen, spöttischen Knicks vor Gregor, der sich seinerseits tief verbeugte und ihr zuzwinkerte.
Venetias Wangen nahmen ein zartes Rosa an, und sie verschwand so hastig in ihrem Zimmer, dass Viola sprachlos im Flur zurückblieb.
Nachdenklich betrachtete Gregor für einen langen Augenblick die fest geschlossene Tür. Dann wandte er sich wieder Viola zu. „Mrs. Oglivie, ich werde Ihre Tochter heiraten.“
„Das wäre schön“, erwiderte Viola in ermutigendem Ton, obwohl sie den Gedanken an den traurigen, entschlossenen Zug um Venetias Mund nicht abschütteln konnte. Sie tätschelte Gregors Arm. „Ich wünsche Ihnen viel Glück.“
Er presste die Lippen aufeinander, und es dämmerte Viola, dass Gregor MacLean womöglich ebenso stur war wie Venetia. Dieser Gedanke machte ihr Hoffnung.
„Kommen Sie, Sie müssen völlig erschöpft sein. Ich werde Sie jetzt zum Rosa Zimmer führen. Es liegt ein wenig abseits der anderen Gästezimmer im Hauptteil des Hauses, und die Witwe möchte normalerweise niemanden dort haben. Es ist also eine ziemliche Ehre für Sie.“
Gregor bot Viola seinen Arm an und lächelte auf eine Art, die ihr Herz zum Flattern brachte. „Zeigen Sie mir den Weg, Madam. Ich versichere Ihnen, ich bin auf das Schlimmste gefasst.“
Venetia beauftragte das Hausmädchen, ihr warmes Wasser zu bringen, wusch und kämmte sich das Haar und ließ es vor dem Kamin trocknen. Anschließend zog sie ihr Nachthemd an, warf ihr Kleid über einen Stuhl und sandte ihrer Großmutter die Nachricht, sie habe Kopfschmerzen und werde der Gesellschaft beim Abendessen fernbleiben. Diese Frechheit brachte ihr eine schroff formulierte Erwiderung ein, die Venetia jedoch ignorierte. Daraufhin kam ihre Mutter und brachte ihr Laudanum, eine Tasse Kräutertee, ein mit kühler duftender
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