Entfuehrung nach Gretna Green
„Das wird zumindest eines der Probleme lösen.“
„Nein“, widersprach sie mit fester Stimme. „Das ist keine Möglichkeit.“
„Aber Miss Oglivie. Ich liebe Sie von ganzem Herzen.“ „Ravenscroft!“ Gregors eisige Stimme ließ die Temperatur im Zimmer um einige Grad sinken.
Der junge Lord sah Gregor verletzt an.
Was dann geschah, konnte Venetia sich auch später nie erklären. Im einen Moment stand Ravenscroft noch mit flehendem Blick und ernster Miene da, im nächsten Augenblick war er schon unterwegs zur Tür und stolperte vor lauter Eile fast über seine eigenen Füße.
„Mir ... mir fiel gerade ein ... eine wichtige Verabredung! “ Er zerrte an seiner Krawatte.
„Hier? In diesem Gasthaus?“ Venetia konnte sich nicht erinnern, jemals eine unglaubwürdigere Ausrede gehört zu haben. Abgesehen von der Idee, sie würde ihn dabei unterstützen, als Romancier zu Ruhm und Ehre zu gelangen. „Wie um alles in der Welt können Sie hier eine Verabredung haben?“
Aber ihre Worte erreichten seine Ohren nicht mehr. Sie hörte nur noch den Klang von Ravenscrofts teuren Schuhen, während er durch die Halle eilte, das Haus durch den Vordereingang verließ und die Tür hinter sich schloss. Sekunden später sah sie ihn durch die wirbelnden Flocken in Richtung Stall am Fenster vorbeihasten, während er seinen Mantel zuknöpfte.
Venetia folgte ihm mit ihren Blicken, bis er nicht mehr zu sehen war. „Das ist höchst seltsam!“
Gregor stand auf und stellte sich neben sie. „Er ist ein Dummkopf.“
„Was hast du getan?“, erkundigte sie sich mit einem fragenden Blick.
„Er geriet langsam völlig außer Kontrolle. Ich habe dem lediglich ein Ende gemacht“, erklärte Gregor achselzuckend.
Sie runzelte die Stirn und musterte ihn misstrauisch.
Das gedämpfte Licht, das durch die immer noch dicht fallenden Schneeflocken ins Zimmer drang, ließ die Linie ihrer Stirn und ihrer Wangen weicher als sonst erscheinen. Auch Gregor betrachtete sie intensiv und versuchte sie so zu sehen, wie Ravenscroft sie offensichtlich wahrnahm.
Venetia war nicht nach den üblichen Maßstäben schön zu nennen. Ihre Figur war üppig gerundet und anziehend, ein wenig schwerer, als es der Mode entsprach.
Ihre Arme waren reizvoll und weich, ihre Brüste voll, ebenso wie ihre Hüften. Sie war keine kleine, zierliche Frau, was gut war. Ein zerbrechlicher Körper hätte keine so leidenschaftliche Seele verkraften können. Gregor musste sich eingestehen, dass sie etwas höchst Einnehmendes an sich hatte. Ihr Gesicht spiegelte eine einzigartige Mischung aus Intelligenz, Humor und Lebendigkeit wider.
„Stimmt etwas nicht?“, erkundigte sie sich und zog die Brauen zusammen. „Warum siehst du mich so an?“
„Ich fragte mich nur gerade, was es ist, das Ravenscroft so sehr an dir entzückt.“
Ihre Wangen röteten sich. „Überanstrenge deine Augen nicht.“
„Hör auf, dich wie eine beleidigte Jungfer aufzuführen! Ich sehe eine Menge Dinge, die es wert sind, bewundert zu werden.“
Daraufhin warf sie ihm einen höchst misstrauischen Blick zu, und er musste lachen. Ihre Augen waren mit Abstand das Schönste an ihr. Sie waren von einem hellen, silbrigen Grau, umgeben von dichten schwarzen Wimpern. Ihre Haut war glatt und weich, wenn auch nicht sonderlich hell. Sie wurde in der Sonne leicht braun, und selbst jetzt, im April, entdeckte er auf ihrer recht unauffälligen Nase einige wenige Sommersprossen. Ihre Lippen waren üppig und bemerkenswert vorlaut, ihre Zähne weiß und ebenmäßig.
Ihr dunkelbraunes Haar zeigte keine Besonderheiten, sah man von seiner Neigung ab, sich bei der geringsten Feuchtigkeit zu locken. Er musste vor sich hin lächeln, als er daran dachte, wie oft sie sich schon über diese Neigung ihrer Haare beschwert hatte, die er selber, wenn er ehrlich war, sehr reizvoll fand.
Nun, da er darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass Venetia tatsächlich eine sehr attraktive, hübsche Frau war. Wahrscheinlich hatte er sich dadurch, dass er sie schon so lange kannte, an ihr Äußeres gewöhnt und es nicht mehr wahrgenommen, was wahrscheinlich nur von Vorteil für sie beide gewesen war. Er schätzte seine Freundschaft mit Venetia sehr und wollte sie auf keinen Fall verlieren, erst recht nicht wegen einer flüchtigen Anziehung, um die es sich in solchen Fällen stets handelte. Dennoch war sie bei diesem Licht verdammt begehrenswert, hatte sie etwas an sich, das ihn zu ihr hinzog. Zu ihren vollen Lippen. Ihren
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