Entfuehrung nach Gretna Green
Steinmauer dort anfassen, können Sie sich die Finger verbrennen, so warm ist sie.“
Mrs. Treadwell warf Venetia einen listigen Blick zu. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass ich frage - wie ist Lord MacLean denn an eine solche Narbe gekommen?“ Hastig fügte sie hinzu: „Nicht dass es wegen seines Aussehens einen Unterschied macht, denn er sieht immer noch so gut aus wie einer dieser Ritter, die ich mal in einem Bilderbuch gesehen habe.“
„Mit vierzehn hatte er einen Unfall. Er und seine Brüder haben ständig Scheinkämpfe mit dem Florett ausgefochten, und eines Tages, als sie neue Floretts benutzten, löste sich die Knospe, das ist der Aufsatz, mit dem die Waffen unschädlich gemacht wurden, von einem der Floretts. Gregors Bruder bemerkte nicht, dass die Knospe abgefallen war und ... “ Venetia zuckte die Achseln.
Mrs.Treadwell schnalzte mit der Zunge. „Sie waren übermütige Jungs, nicht wahr?“
„Das sind sie immer noch, bis auf einen“, erwiderte Venetia. „Callum, Lord MacLeans jüngster Sohn, wurde vor anderthalb Jahren getötet.“ Noch immer wurde Gregor ganz still, sobald Callums Name fiel.
Wieder schnalzte Mrs. Treadwell. „Es ist sehr schwer, einen Bruder zu verlieren. Ich schätze, das wissen Sie auch, nachdem Ihr eigener Bruder heute fast zu Schaden gekommen wäre. Das macht Ihnen bestimmt noch jetzt zu schaffen.“
„Äh, natürlich. Bis heute schien er mir unverletzlich zu sein. “
„Genauso sehe ich meinen eigenen Bruder, Cyril. Er reitet halbwilde Pferde, macht bei Kutschenrennen mit, unternimmt alle möglichen gefährlichen Sachen, und niemals passiert ihm was.“ Sie schüttelte den Kopf.
„Ja. Genau so ist Mr. West. Nie benutzt er auch nur annähernd so etwas wie gesunden Menschenverstand und ist dennoch fest überzeugt, dass er niemals für seine Dummheiten bezahlen wird, was mir ziemlich auf die Nerven geht.“ Ein leises Knurren ihres Magens erinnerte sie daran, dass sie wegen all der Aufregungen um den Unfall kein Mittagessen gehabt hatte. „Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit, Mrs. Treadwell. Darf ich fragen, wann das Essen fertig sein wird?“
„Sehr bald. Mr.Treadwell hat ein Mädchen geholt, das uns in der Küche hilft. Ihr Name ist Elsie, und es gibt weit und breit keine bessere Köchin. Sie werden hier keinen Hunger leiden, Miss! Der ,Blue Rooster, unser Gasthof, ist für seine Gastlichkeit bekannt, und ich werde nicht zulassen, dass sich das ändert.“
„Ich bin sicher, wir alle stimmen in diesem Punkt mit Ihnen überein. Dies ist ein sehr gastliches Haus“, stimmte Venetia ihr freundlich zu.
Mrs. Treadwell strahlte. „Vielen Dank, Miss! Wenn Sie mich nun entschuldigen. Ich werde nachsehen gehen, ob Elsie Hilfe braucht. Ich kann nicht kochen, aber ich kann in einem Topf rühren, wenn’s drauf ankommt.“ Mit einem flüchtigen Lächeln verließ sie das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Venetia ging zum Bett, ließ sich quer darauf fallen und faltete nachdenklich die Hände unter ihrem Kinn.
Sie konnte kaum glauben, dass Ravenscrofts schlecht durchdachte Pläne sie in eine solche Misere gebracht hatten. Noch überraschender war aber der Ausdruck in Gregors Gesicht gewesen, bevor er die Gaststube verlassen hatte. Einen Moment lang, für eine einzige Sekunde, hatte er sie angesehen, als würde er sie begehren.
Bei diesem Gedanken schlug ihr Herz ein wenig schneller. In all den Jahren, die sie Gregor nun kannte, hatte er sie niemals so angesehen. Wenn sie genauer darüber nachdachte, hatte er sie eigentlich überhaupt nicht angesehen. Er schien nie zu bemerken, ob sie ihr Haar geschnitten hatte oder einen neuen Umhang trug oder irgendeine andere Veränderung vorgenommen hatte.
Sie dagegen hatte ihn durchaus bemerkt, und wer konnte ihr das vorwerfen? Er war von einer gefährlichen, von einer geradezu verheerenden Attraktivität. Und schlimmer noch, er wusste es.
Sie nahm eines der Kissen in den Arm, und das vom vielen Waschen dünne Leinen fühlte sich an ihrem Kinn wie Seide an. Zu ihrem Glück, oder vielmehr zum Glück für ihr Herz, hatte Gregor, obwohl äußerlich nahezu perfekt, eine Menge Charakterfehler. Er war arrogant, reizbar und lag ständig im Streit mit seiner Umwelt. Sein schlimmster Fehler war, dass er jede Wohltätigkeit als Zeichen von Schwäche auslegte. Und wenn es etwas gab, woran Venetia glaubte, so war es die Verantwortung der Menschen untereinander.
Gregors positive Seiten machten ihre Freundschaft wertvoll. Er war
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