Entfuehrung nach Gretna Green
und sah sich einer ziemlich unansehnlichen, dünnen Frau gegenüber, die ein schlichtes graues Kleid und matte Perlen trug.
Unverzüglich sank die Frau in einen tiefen Knicks. „Guten Abend“, stieß sie mit atemloser Stimme hervor. „Ich bin Miss Platt.“
Venetia knickste ebenfalls. „Wie geht es Ihnen? Ich bin Miss Venetia O...“
„Miss West“, kam Gregors tiefe Stimme vom anderen Ende des Zimmers.
Venetia zwang sich zu einem Lächeln und schaffte es, Gregor zuzunicken, obwohl ihr Herz wie ein durchgehendes Pferd in ihrer Brust herumgaloppierte, weil sie sich fast verraten hätte. „Lord MacLean.“
Er verbeugte sich. „Es tut mir leid, dass ich Sie unterbrochen habe, Miss West, aber Ihr Bruder und ich haben soeben die Bekanntschaft von Mrs. Bloom und ihrer Gesellschafterin, Miss PI...“
„Miss West“, mischte sich Mrs. Bloom mit lauter Stimme ein, die an ein Artilleriefeuer erinnerte. „Ihr Begleiter erzählte mir gerade, dass Sie in London leben. Darf ich fragen, in welchem Stadtteil?“
Mit einem überlegenen Lächeln verzog die Frau ihre dicken Wangen. „Ich kenne die Stadt sehr gut, denn immerhin lebe ich dort seit mehr als zwanzig Jahren. Ich glaube, ich bin dort mit fast jedem bekannt, nicht wahr, Miss Platt?“
Ihre Gesellschafterin nickte hastig, während ihr Blick nervös zu ihrer Arbeitgeberin und sofort wieder in eine andere Richtung zuckte. „Oh ja“, erklärte sie dabei mit leiser Stimme. „Mrs. Bloom kennt wirklich jeden in der Stadt! Ich pflege zu sagen, dass Mrs. Bloom mit halb London verwandt ist und bei der anderen Hälfte der Bevölkerung auf der Gästeliste steht!“ Venetias Herz wurde schwer. Wenn die Frau tatsächlich ein geachtetes Mitglied der Londoner Gesellschaft war, was immerhin möglich war, wenn sich das Gerede der beiden Damen auch reichlich übertrieben anhörte, konnte es passieren, dass sie bei späterer Gelegenheit aufeinandertrafen. Und dann würde der ganze Schwindel auffliegen.
Vorsichtig schielte sie in Gregors Richtung, um zu sehen, ob er ebenso wie sie die Gefahr erkannte, doch sein höfliches Lächeln trug nicht dazu bei, ihre Sorge zu verringern. Er schien der Situation und ihren möglichen Folgen völlig gelassen gegenüberzustehen. Schweren Herzens zwang sie sich ebenfalls zu einem Lächeln und warf den Kopf in den Nacken. Guter Gott, schließlich und endlich wird mein Ruf nach all dem hier ohnehin ruiniert sein.
5. Kapitel
Es braucht eine geduldige Frau, um mit einem ungeduldigen Mann fertig zu werden. Leider gibt es niemanden, der eine ungeduldige Frau bändigen kann ...
... so sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.
Ravenscroft räusperte sich, während er Venetia einen um Entschuldigung flehenden Blick zuwarf. „Ich bedaure, Mrs. Bloom, aber meine Schwester und ich haben mehr Zeit in, äh, Yorkshire verbracht als irgendwo sonst. Ich bezweifle, dass Sie uns schon einmal in London gesehen haben. “
„Was einzig und allein meine Schuld ist“, warf Gregor in ernstem Ton ein. „Ich heiße die Zerstreuungen, die London bietet, nicht gut und ziehe es vor, dass meine Schützlinge ihre Zeit nutzbringender mit der Lektüre christlicher Schriften und dem Studium der griechischen Sprache verbringen.“
Mrs. Bloom wedelte mit der Hand durch die Luft. „Ich bin sicher, das ist eine kluge Entscheidung.“ Sie warf Miss Platt einen bedeutsamen Blick zu. „Da muss ich an Ihren Bruder denken, meine Liebe. Es gibt viele Menschen, die an einem Ort wie London auf die schiefe Bahn geraten, wenn sie nicht sehr vorsichtig sind.“
Auf Miss Platts Gesicht zeigte sich flammende Röte. „Mein Bruder Bertrand ist nicht auf die schiefe Bahn geraten, sondern er wurde ausgenutzt und in die Irre geleitet. Das ist ein großer Unterschied.“
Plötzlich zuckte Gregor, der für einige Zeit die Wand angestarrt hatte, sichtbar zusammen.
Alle im Zimmer wandten sich ihm zu.
Er deutete auf ein Gemälde, das neben dem Fenster hing. „Wären Sie bitte so nett, Mrs. Bloom, sich das Bild anzusehen und mir zu sagen, ob Sie es für einen Vreeland halten. Ich bin sicher, als Londonerin kennen Sie sich mit Kunst besser aus als sämtliche anderen Anwesenden.“
Venetia runzelte die Stirn. Sie war in Gefahr, für immer ihren guten Ruf zu verlieren, und Gregor sprach über Kunst ?
Mrs. Bloom strahlte vor Stolz, weil ihr Kunstverstand zugetraut wurde. „Ebenso wie der Prinz bewundere ich die holländischen
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