Entfuehrung nach Gretna Green
diesen Halunken verloren habe, bevor du herausgefunden hast, was sein wahrer Beruf war.“
„Dir hat er wenigstens nicht das Medaillon deiner Mutter gestohlen. Wir haben es nie wiedergesehen.“
„Du verstehst aber, was ich dir mit all diesen Geschichten zeigen will?“
„Ja, ja“, stimmte sie ihm seufzend zu. „Du denkst, ich bin zu vertrauensselig und sollte mich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute mischen. Wir haben diese Diskussion schon mehr als einmal geführt und sind uns darüber einig, dass wir uns nicht einig sind.“
„So war es bisher.“
Venetias silberne Augen schauten ihn direkt an. „Was soll sich denn jetzt plötzlich geändert haben?“
„Sag du es mir.“
Ihre Blicke tauchten ineinander. Venetias Wangen röteten sich. „Ich bin mir sicher, ich weiß es nicht“, stieß sie atemlos hervor und wandte sich ab. „Ich tue nichts, was Schwierigkeiten mit sich bringen könnte; ich möchte einzig und allein Miss Platt helfen. Selbst du musst zugeben, dass sie weder ein Halunke ist noch ein Taschendieb oder irgendetwas in der Art. Sie hat mich nicht um die kleinste Kleinigkeit gebeten. Wenn sie irgendetwas gesagt hat, dann eher, dass sie keine Hilfe möchte.“
„Das klingt, als wäre sie eine vernünftige Frau. Ich hoffe, du hörst auf sie.“
Venetia zog die Nase kraus. „Wann bist du eigentlich so ein Langeweiler geworden?“
„Ich bin kein Langeweiler.“
Sie zuckte die Achseln und schaute an ihm vorbei, als hätte sie das Interesse an ihm und dieser Unterhaltung verloren. „Du erweckst aber den Eindruck. Es könnte allerdings auch sein, dass es an mir liegt.“
Gregor starrte finster vor sich hin. Viele Jahre lang hatte er zugesehen, wie Venetia ihren chaotischen Eltern ständig aus der Klemme half und sich nebenbei immer wieder auf unpassende Bekanntschaften einließ, um ihnen „beizustehen“ und sich alles in allem eine Menge Mühe damit machte, alle Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen. Aber die Welt wusste ihre Bemühungen nicht zu schätzen; niemand bedankte sich jemals bei ihr. Dennoch schien sie aus irgendeinem Grund ihr Leben zu genießen.
Obwohl er sich schon immer über ihre Gewohnheiten Sorgen gemacht hatte, war er in der Lage gewesen, ihr Tun zu akzeptieren, weil es ihn letzten Endes nichts anging. Das hatte sich völlig geändert, seit sie hier gemeinsam festsaßen. Alles schien plötzlich anders zu sein, und was auch immer sie tat, ging ihn sehr viel an.
Was Gregor nicht im Geringsten gefiel.
Er sah aus dem Fenster und stellte erleichtert fest, dass das Eis in der Sonnenwärme sehr schnell schmolz.
Vielleicht konnten sie schon sehr bald abreisen, und dann würde die Situation wieder viel angenehmer werden. Venetia konnte sich wieder ihren wohltätigen Werken widmen, ohne dass Gregor allzu viel davon mitbekam. Und genau so sollte es sein.
Als er sich ihr wieder zuwandte, stellte er fest, dass sie ihn fragend ansah. An diesem Morgen waren ihre Augen rauchgrau, und in ihren Tiefen lauerte eine Frage.
„Was ist los?“, erkundigte er sich.
Sie legte ihren Kopf auf die Seite. „Macht es dir eigentlich gar nichts aus?“
„Was sollte mir etwas ausmachen?“
„Dass du niemals wirklich mit dem Leben in Berührung kommst, sondern nur am Rand stehst und zusiehst, wie es an dir vorbeizieht.“ Mitleidig schüttelte sie den Kopf. „Eines Tages wirst du aufwachen, und es wird so gut wie vorüber sein und alles, was du dann getan haben wirst, ist zusehen.“
Er runzelte die Stirn, doch der Auftritt von Mrs. Treadwell und Elsie mit ihren Servierplatten enthob ihn einer Antwort.
„Komm“, forderte sie ihn auf. „Wir sollten besser zu den anderen gehen.“
Gregor blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Als er im Vorbeigehen hörte, wie Ravenscroft Miss Platt bat, ihn in die Geheimnisse der richtigen Pflege von Azaleen einzuweihen, verschluckte er sich fast.
Dieses Gesprächsthema war zu merkwürdig, ebenso wie Miss Platts Verhalten - sie kicherte wie eine Verrückte und nahm jede nur mögliche Schattierung von Rosa an, sobald es Ravenscroft gelang, auf eine seltsam gestelzte Art, als würde er auf einer Bühne stehen, ein Kompliment hervorzustoßen. Und all das verfolgte Venetia mit höchst zufriedener Miene.
Das seltsame Schauspiel am Tisch genügte, um Gregor den Appetit zu verderben. Bildete sich der Knabe ein, er könnte Venetia auf diese Weise eifersüchtig machen?
Die Tür zur Halle öffnete sich, und Gregors Reitbursche
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