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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koppel Hans
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ein paar Tränen aus den Augenwinkeln.
    »Was?«, sagte Sanna.
    »Der Vogel. Da war ein großer Vogel.«
    »Wo?«
    »Scheint weggeflogen zu sein.«
    »Ich habe keinen Vogel gesehen.«
    »Nicht? Der war groß, vielleicht ein Adler. Hast du schon mal einen Adler gesehen? Die sehen aus wie eine fliegende Tür. Mama ist sicher bald wieder zu Hause. Sie wartet auf uns, wenn wir aus Väla zurückkommen.«
    »Ich finde trotzdem, dass man anrufen muss«, sagte Sanna.

16. KAPITEL
    Ich kann nicht behaupten, dass es mich mit Trauer erfüllt.
    Jörgens Worte gingen Calle Collin nicht aus dem Kopf. Das Schlimmste war, dass sie ihm so spontan über die Lippen gekommen waren. Jörgen hatte sie nicht ausgesprochen, um etwas Gemeines zu sagen. Es war eine natürliche Reaktion auf die Information gewesen, dass Anders Egerbladh ermordet worden war.
    Calle suchte im Internet nach dem Hammermord. Eine halbe Stunde später wusste er das Wesentliche. Anders Egerbladh, der in allen Artikeln als »Sechsunddreißigjähriger« bezeichnet wurde, war erschlagen auf der Sista Styverns Trappa aufgefunden worden, einer Holztreppe, die von der Fjällgatan hoch zur Stigbergsgatan führte. Die Mordwaffe, ein Hammer, hatte sich noch am Tatort befunden, jedoch ohne Fingerabdrücke.
    Der Mord wurde als bestialisch bezeichnet. Die Brutalität ließ auf einen grenzenlosen Hass auf das Opfer schließen, und die Polizei ging von der Hypothese aus, dass Täter und Opfer sich kannten. Am Tatort war ein Blumenstrauß mit den Fingerabdrücken des Opfers gefunden worden, offenbar hatte das Opfer einer Frau einen
Besuch abstatten wollen. Unausgesprochen: einer verheirateten Frau.
    Die besten Artikel hatte der Kriminalreporter der Abendzeitung verfasst, bei der Calle Collin ein halbes Jahr seines Berufslebens vergeudet hatte. Er hatte das Gefühl, dass der Reporter mehr wusste, als er in seinen Texten der Allgemeinheit preisgab. Calle kannte den Reporter nicht persönlich, hingegen die Chefredakteurin der Zeitung. Wenn sie für ihn bürgte, konnte er vielleicht ein paar Worte mit dem Kriminalreporter wechseln.
    Calle hatte vertretungsweise für die Frauenbeilage der Zeitung gearbeitet, in der sämtliche Artikel nach dem ersten Gebot des McCarthy-Feminismus geschrieben wurden: Es gibt keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, außer dass Männer von Natur aus böse und Frauen von Natur aus gut sind.
    Die Überschriften und Blickwinkel waren vorgeschrieben, und die redaktionelle Arbeit bestand darin, Argumente für Behauptungen zu sammeln und Vorbehalte zu streichen, die für das Gegenteil sprachen. Die Kolumnisten der Beilage zogen mit unbeschwerter Leichtigkeit Leute durch den Dreck, die sich erdreisteten, Übergriffe infrage zu stellen, die im Namen des Kampfes verübt wurden.
    Dass viele von denen, die der Lächerlichkeit preisgegeben und verfolgt wurden, in Leben und Taten gute Vorbilder für die Gleichberechtigung waren, spielte keine Rolle, wenn sie in einem Nebensatz eine falsche Ansicht geäußert hatten.

    All das zusammengenommen überzog eine im Grunde wichtige Frage mit einem Schimmer der Lächerlichkeit, und das halbe Jahr bei der Zeitung hatte Calle Collin ein ewiges Misstrauen der öffentlichen Debatte gegenüber eingeimpft. Das einzig Positive an seiner Zeit bei der Zeitung war gewesen, dass er die Chefredakteurin kennengelernt hatte, eine kluge, großherzige Frau. Als Calle nach sechs Monaten bedient gewesen war, hatte sie ihn gefragt, ob er vielleicht lieber in der Nachrichtenredaktion arbeiten wolle.
    »Wenn ich mich auch nur im Geringsten für Nachrichten interessieren würde, hätte ich mich wohl an eine Nachrichten-Zeitung gewendet«, hatte Calle erwidert.
    Diese Antwort war noch lange und oft in der Redaktion zitiert worden. Die meisten hatten gelacht, waren vielleicht sogar seiner Meinung gewesen, aber der übersensible Feuilletonchef der Zeitung hatte sich wahnsinnig geärgert und geschworen, dass er, soweit es in seiner Macht stünde, verhindern würde, dass Calle je wieder einen Fuß in die Redaktion setzte.
    Calle griff zum Telefonhörer und rief die kluge, großherzige Frau an.

17. KAPITEL
    Je hässlicher ein Ort, desto mehr Menschen drängten sich dort. Die Nationalparks waren ausgestorben, aber jedes abartige Einkaufszentrum des Landes war überlaufen von Menschen ohne Geschmack, mit leerem Blick und vollen Geldbörsen.
    Nirgends gab es mehr und widerliche Leute als im Väla-Shoppingzentrum. Trotzdem fuhr Mike mindestens

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