Entfuhrt
unterstrich das Bild von ihm als dem Betrogenen. Das Gegenteil – dass er den Verdacht hegte, betrogen zu werden, aber nicht agierte – war unangenehmer.
Er beschloss, nach Hause zu fahren. Mit größter Wahrscheinlichkeit erwartete ihn Ylva dort bereits.
Mike redete sich das ein und bog in Berga Richtung Norden ab.
Die Haustür war abgeschlossen, und es standen auch keine weiteren Schuhe in der Diele. Trotzdem rief Mike.
»Hallo?«
Sanna schaute zu ihm hoch.
»Ist Mama immer noch nicht zu Hause?«
Mike schüttelte kurz den Kopf.
»Wo ist sie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Weißt du das nicht?«
Mike antwortete nicht.
»Ist sie weg?«
Sanna sagte das wie im Scherz.
»Nein, nein, sie ist nicht weg«, erwiderte Mike und zwang sich zu einem Lächeln. »Irgendwo ist sie natürlich.«
»Aber wo?«
»Vermutlich bei einer Freundin.«
Er schaute auf die Uhr. Viertel vor zwei.
»Ich muss ein paar Leute anrufen«, sagte er.
»Du telefonierst die ganze Zeit.«
»Ich muss. Kannst du nicht eine Freundin besuchen?«
»Welche?«
»Vielleicht Klara?«
»Die ist nicht zu Hause.«
»Und was ist mit Ivan?«
»Ich will auf Mama warten.«
»Dann sei so nett und schau dir den Film zu Ende an. Ich komme, wenn ich mit dem Telefonieren fertig bin.«
Sanna seufzte und verschwand.
Mike wartete, bis er die Geräusche des Films hörte, und rief dann Nour an.
»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte er, nachdem sie ihm erklärt hatte, niemand wisse etwas.
»Mit Pia und Helena«, meinte Nour. »Ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen soll.«
Mike nahm seinen Mut zusammen.
»Könnte sie bei diesem Restauranttypen sein?«
Er lachte aufgesetzt, als er das sagte, als mache er einen Witz und als sei das im Grunde undenkbar.
»Nein«, antwortete Nour. »Ich habe ihn sicherheitshalber auch angerufen. Sie waren nicht zusammen.«
Mike war erleichtert, auch wenn das womöglich bedeutete, dass ihn seine Frau mit einem weiteren Mann betrog.
»Um wie viel Uhr habt ihr euch gestern getrennt?«, fragte Mike.
Nour holte tief Luft und atmete dann seufzend aus.
»Das muss ungefähr Viertel nach sechs gewesen sein.«
»Sie hätte also um sieben zu Hause sein müssen, wenn sie direkt nach Hause gefahren wäre?«, meinte Mike.
»Ich vermute.«
»Und sie ist den Abhang hinuntergegangen?«
»Sie sagte, dass sie nach Hause will.«
»Ich werde wohl doch bei der Polizei anrufen müssen«, meinte Mike.
Nour fand, dass er verlegen klang, fast so, als wolle er sie um Rat bitten. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Mike brach selbst das Schweigen.
»Ich habe einen Freund in Stockholm. Er hat das Schloss angepinkelt. Er war im Café Opera gewesen und torkelte die Skeppsbron entlang nach Hause, als er sich erleichtern musste. Und das hat er dann ausgerechnet bei diesem Brunnen gemacht, du weißt schon. Die Polizei hat ihn über Nacht eingesperrt. Er durfte nicht mal zu Hause anrufen. Seine Freundin erwartete ihn mit dem Nudelholz, weil sie glaubte, er habe eine Affäre.«
Die Geschichte passte nicht in den Zusammenhang, und er sprach angestrengt, als müsse er sich selbst überzeugen. Mike war einem Zusammenbruch nahe.
»Ich meine, so etwas könnte es auch sein.«
Ja, dachte Nour, falls Ylva ein Mann wäre und wenn es
ein Schloss gäbe, gegen das man pinkeln könnte, dann schon.
»Natürlich«, erwiderte sie, »so könnte es sein. Ich denke, es ist wirklich das Beste, wenn du die Polizei verständigst.«
»Sicherheitshalber«, entgegnete Mike.
19. KAPITEL
Ylva starrte auf den Monitor. Mike und Sanna waren zurück, das Auto stand wieder in der Auffahrt. Gute hundert Meter von ihr entfernt saß ihr geliebter, geduldiger und etwas langweiliger Mann und fragte sich, wohin sie verschwunden war. Ylva sehnte sich dorthin.
Sie wickelte das Küchenkrepp von einer Haushaltsrolle und ließ es zu Boden fallen. Dann nahm sie die leere Papprolle und stellte sich aufs Bett. Sie rief in die Rolle und hoffte, durch den gelenkten Schall die Aufmerksamkeit Vorbeigehender zu wecken. Den Blick auf den Fernsehbildschirm gerichtet, wartete sie gespannt.
Als das erste Paar vorbeikam, schrie sie, so laut sie konnte. Leider fuhr gleichzeitig ein Auto vorbei und übertönte das leise Geräusch, das sie eventuell erzeugt hatte. Als Nächster kam ein Jogger, der Musik hörte, er war nicht einmal die Mühe wert. Anschließend kam ein älteres Paar, das tatsächlich stehen blieb, woraufhin Ylva noch lauter schrie, damit sie begriffen, dass etwas
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