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Entfuhrt

Entfuhrt

Titel: Entfuhrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koppel Hans
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nicht in Ordnung war. Sie standen wirklich da und betrachteten das Haus. Ylva war sich sicher, dass sie sie hörten, ohne zu begreifen, wo das Geräusch herkam. Sie sahen allerdings
nicht besonders verwundert aus, und nach einer Weile gingen sie trotz Ylvas lauter Hilferufe weiter.
    Sie konnten sich natürlich nicht vorstellen, dass das neu zugezogene Ehepaar einen Menschen im Keller gefangen hielt.
    Ylva versuchte stattdessen zu lauschen. Sie hielt die leere Papprolle vors Ohr und drückte sie gegen die Luftschlitze. Sie hörte einen elektrischen Ventilator, aber von draußen hörte sie nichts. Ein paar Autos fuhren vorbei, ohne dass das Motorengeräusch im Keller zu hören gewesen wäre.
    Als schließlich Lelle, Virginias lächerlicher Mann, lautlos auf seiner Harley-Davidson ohne Schalldämpfer vorbeirollte, verstand sie, dass der Keller von der Umwelt abgeschirmt war, zumindest was die Geräusche anging.
    Es war unfassbar. Da baute jemand einen Würfel unter sein Haus, mit Luftzufuhr und Abluft, Wasser und Abwasser, aus dem nicht das leiseste Geräusch nach draußen drang.
    Ylva ermahnte sich, konstruktiv zu denken. Sie konnte also nicht mithilfe ihrer Stimme auf sich aufmerksam machen. Statt weiter ihre Gedanken daran zu verschwenden, wie das möglich sein konnte, musste sie nach anderen Lösungen suchen.
    Hätte sie ein Feuerzeug oder Streichhölzer gehabt, hätte sie das Küchenkrepp anzünden können. Der Rauch würde nach draußen dringen und hoffentlich bemerkt werden. Der Nachteil dieser Methode wäre aber auch, dass sie selbst eine Rauchvergiftung riskierte oder womöglich
in den Flammen umkam. Und falls der Abluftkanal in einem Schornstein mündete, würde der Rauch kein Aufsehen erregen, nicht einmal jetzt, wo es draußen warm war. Die Leute würden denken, dass das neu zugezogene Paar etwas im offenen Kamin verbrannte, und nicht weiter darüber nachdenken.
    Es war sehr wahrscheinlich, dass die Abluft im Schornstein mündete. Das erklärte auch, warum ihre Schreie von niemandem gehört wurden.
    Und weiter? Feuer, Luft … Wasser.
    Im Badezimmer gab es Wasser. Es floss durch Rohre und verschwand im Abfluss. Konnte sie irgendeine wasserbeständige Mitteilung im Klo runterspülen und darauf hoffen, dass man sie in der Kläranlage bemerkte? Sie sah Tampons, Kondome und Wattestäbchen in einem Brei aus Fäkalien und Toilettenpapier vor sich. Das lud kaum zu näherer Betrachtung ein.
    Papier. Sie könnte die Toilette verstopfen und für eine Überschwemmung sorgen. Dann mussten sie die Tür öffnen.
    Sie hörte ein Geräusch. Ein Schlüssel wurde in die Stahltür gesteckt, die sie von der Umwelt trennte.
    Sie sah sich um, packte das abgeschlagene Stuhlbein und hielt es vor sich.
    Sie war bereit.

    Der Polizist, der Mikes Anzeige telefonisch entgegennahm, war ruhig und verständnisvoll. Er fragte, ohne dass es peinlich geworden wäre, ob Ylva niedergeschlagen gewesen sei, ob sie früher schon einmal verschwunden sei, ohne sich zu melden, ob Mike und sie sich vielleicht gestritten hätten oder ob es bei ihnen zu Hause Meinungsverschiedenheiten gegeben habe.
    »Sie verließ also ihre Arbeitskolleginnen kurz nach sechs und sagte, dass sie nach Hause fahren würde?«, fragte er, als Mike geendet hatte.
    »Ja.«
    »Und Ihnen teilte sie mit, sie wolle ausgehen?«
    »Sie hatte so etwas erwähnt, aber es war noch nicht sicher.«
    »Und wann haben Sie das letzte Mal miteinander gesprochen?«
    »Gestern in der Früh, bevor sie zur Arbeit ging.«
    »Und ihr Handy ist jetzt ausgeschaltet?«, fragte der Polizist.
    Mike hörte selbst, wie das klang. Sie hatte die Nacht mit ihrem Liebhaber verbracht. Es war wunderbar gewesen, und sie wollte den Zauber noch etwas genießen, bevor die Schuldgefühle kamen und Porzellan zerschlagen wurde.
    »Die Sache ist die«, sagte der Polizist. »Wir bekommen solche Anrufe fast täglich. Fast immer tauchen die Verschwundenen innerhalb von vierundzwanzig Stunden wieder auf. Ihre Frau ist jetzt seit zwanzig Stunden verschwunden. Ich schlage Folgendes vor: Wenn sie sich im
Laufe des Abends nicht meldet, rufen Sie wieder an. Ich bin bis neun Uhr hier.«
    Der Polizist gab Mike die Durchwahl.
    »Noch etwas«, meinte er abschließend. »Wenn sie nach Hause kommt, bleiben Sie gelassen, machen Sie keine Dummheiten.«
    »Nein«, antwortete Mike gehorsam wie ein Erstklässler.
    »Denken Sie daran, dass morgen auch noch ein Tag ist.«
    »Ja.«
    Mike nickte sogar, während er den Telefonhörer ans Ohr

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