Entfuhrt
Armbanduhr und beantwortete die Frage selbst.
»Elf.«
»Ich setze einen Kaffee auf. Wir können ja sowieso nicht schlafen.«
Mike saß mit gefalteten Händen und starrem Blick am Küchentisch. Er formte seine Lippen zu stummen Worten. Kristina goss zwei Tassen Kaffee ein und nahm ihm gegenüber Platz.
»Willst du nach so einer Sache wirklich noch bei ihr bleiben?«, fragte sie.
Er sah sie streng an.
»Mama, wir wissen nicht, was passiert ist.«
Sie wandte das Gesicht ab.
»Nein, das wissen wir nicht, wohl wahr.«
Sie probierte den Kaffee, stellte die Tasse ab, Stille erfüllte den Raum.
»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte sie schließlich.
»Mit Nour.«
»Ihrer Arbeitskollegin?«
»Ja. Und mit Anders und Ulrika, Björn und Grethe, Bengtsson.«
»Und niemand weiß etwas?«
»Nein.«
Seine Mutter rutschte auf dem Stuhl hin und her. Ihr war nicht wohl bei der Frage, die sie stellen wollte.
»Dieser, du weißt schon …«
Mike hatte seiner Mutter in einem schwachen Augenblick von Ylvas Affäre mit Bill Åkerman erzählt, und zwar hauptsächlich deshalb, weil es sonst niemanden gab, dem er sich hätte anvertrauen können. Er hatte dies zutiefst bereut und das Gefühl gehabt, sein Verrat sei fast noch größer gewesen als Ylvas.
Mike sah seine Mutter an.
»Nein«, sagte er. »Nour hat ihn angerufen. Dort war sie nicht.«
Seine Mutter wechselte das Thema.
»Wen könntest du sonst noch anrufen?«
»Ich will niemanden mehr anrufen. Es ist so schon schlimm genug. Wenn ich daran denke, dass ich vor ungefähr zwei Stunden mit Bengtsson gesprochen habe, würde es mich erstaunen, wenn mittlerweile nicht ohnehin alle Bescheid wüssten.«
»Ich dachte mehr an ihren Arbeitsplatz«, meinte seine Mutter.
»Ich habe mit Nour gesprochen. Das ist ihre engste Freundin.«
»Genau«, antwortete seine Mutter. »Sie ist Ylvas beste Freundin.«
»Mama, hör schon auf. Sie hätte von sich hören lassen. Schließlich muss sie ja keine Angst vor mir haben.«
»Nein, das kann man wirklich nicht sagen.«
»Was soll das heißen?«
Kristina starrte auf die Tischplatte und strich mit einem Finger über die Tischkante.
»Entschuldige«, sagte sie. »Das war dumm. Ich entschuldige mich.«
Mike holte tief Luft und räusperte sich dann.
»Ich brauche deine moralische Unterstützung mehr als deine Hilfe, Mama. Deine moralische Unterstützung.«
24. KAPITEL
Schuld
Viele Opfer werden gezwungen, eine Schuld abzuarbeiten. Sie müssen für die Reise, die Unterkunft, das Bett, die Kondome, das Essen sowie ihren Schutz zahlen. Diese Schuld ist natürlich eine Konstruktion. Das Opfer kann sich niemals freikaufen. Die einzige Chance besteht darin, unrentabel zu sein, aber das ist in der Praxis unmöglich, da es immer eine Neigung gibt, die das Opfer befriedigen kann, zu irgendetwas taugt es immer.
Der Mann und die Frau betraten gemeinsam den Keller. Sie rissen die Tür auf und schlossen sie nicht einmal hinter sich. Ylva lag auf dem Bett. Sie war in ihren Kleidern eingeschlafen. Es dauerte ein paar Sekunden, einen Augenblick der Verwirrung, bis sie einsah, dass ihr Traum nicht Wirklichkeit war, die Hölle, in der sie sich befand, jedoch schon.
Der Mann und die Frau näherten sich dem Bett von beiden Seiten. Ylva versuchte, dem Mann zu entkommen und geriet in die Arme der Frau. Die Frau war kleiner als Ylva, aber es ging hier nicht um Körpergröße. Die Frau
schlug ihr ins Gesicht, fest, mit der flachen Hand. Gleichzeitig packte sie der Mann an den Füßen und zog sie zu sich. Ylva fiel auf den Bauch, packte die Bettkante und versuchte, sich zu wehren.
»Versuch ja nicht abzuhauen«, sagte die Frau und löste gewaltsam Ylvas Finger von der Bettkante.
Der Mann zog sie mühelos zu sich her, packte ihre Oberarme, zerrte sie auf die Knie und hielt sie mit festem Griff vor sich fest.
Die Frau kletterte zu ihr aufs Bett. Sie war für ihr Alter erstaunlich gelenkig und schien sich in der gewalttätigen Rolle erschreckend wohlzufühlen. Die Frau kniete sich vor Ylva, die angestrengt atmete und mit dem Blick umherirrte.
»Sieh mich an.«
Ylva hob verunsichert den Blick. Ihr Haar hing ihr ins Gesicht, die Frau schob es ihr hinter die Ohren.
»Hör auf zu keuchen.«
Die Frau sprach ganz leise, sie flüsterte beinahe. Ylva schluchzte ein paarmal auf. Die Frau schloss die Augen und lächelte. Sie wartete.
»Können wir jetzt miteinander reden?«, sagte die Frau so leise, dass es kaum zu hören war.
Ylva nickte
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