Entfuhrt
unserem Leben und kehret niemals wieder? Eins nach dem anderen? Der Herr gibt, der Herr nimmt? In deinem Schatten? Gedächtnishain? Stirb und werde? Die knapp bemessene Zeit? Carpe diem? Plötzlich geschieht es …?
Verdammt.
Ende des Spiels.
Calle murmelte die Worte leise vor sich hin. Das klang gut. Das klang schicksalsschwer und doch lebensbejahend.
Ende des Spiels.
Das war wirklich fantastisch!
Die aussichtslose Zukunft
Die Frau, der es gelingt, sich gewaltsam vom Täter zu lösen, hat kaum Aussichten, in ihr altes Leben zurückzufinden. Es spielt nur selten eine Rolle, dass ihr die Situation aufgezwungen wurde. In den meisten Gesellschaften herrscht die Auffassung, dass die Schuld bei ihr zu suchen ist. Sie hat ihre Familie entehrt, und nur wenige Angehörige eines Opfers sind bereit, sich aufzuopfern, indem sie eine Ausgestoßene bei sich aufnehmen. Aus diesem Grund kehrt die Frau fast immer zum Täter zurück.
Da draußen gab es eine Welt, nur die Mauern des Kellers trennten Ylva von ihr. Sie versuchte, sich an sie zu erinnern, das Gefühl wiederzubeleben, das sie gehabt hatte, ehe sie alle Ambitionen begraben hatte. Als sie sich noch eingebildet hatte, fliehen zu können. Als sie sich noch bemüht hatte, logisch zu denken.
Ehe sie begriffen hatte, welchen Preis sie für ihre vergeblichen Versuche zu zahlen hatte. Die Schläge und Drohungen hatten sie kleingemacht und sie ihre Situation akzeptieren lassen. Ihre Situation und die Person, die sie war.
Das Haus putzen.
Der Gedanke, nach oben zu kommen und mal wieder das Sonnenlicht zu erblicken, hatte etwas in ihr geweckt.
Im Traum stürzte sie sich aus dem Fenster, rannte über die Allmende auf ihr eigenes Haus zu und …
Weiter kam sie nicht. Ihre Gedanken weigerten sich,
den Traum weiter auszubauen. Vermutlich war das ein Schutzmechanismus.
Das Haus putzen.
Sie würden es ihr nie erlauben. Das war nur eine weitere Methode, um sie zu quälen, eine Versprechung, mit der sie ihr den Mund wässrig machten. Im letzten Augenblick würden sie ihr diese Vergünstigung vor der Nase wegziehen. So, wie sie es bislang immer getan hatten.
Ylva schaute sich um, dachte daran, was sie riskierte. Alles, was sie sich erarbeitet hatte.
Der Bildschirm zur Außenwelt, das Essen, das Wasser, die Elektrizität, die Bücher.
Das Einzige, was sie dafür von ihr verlangten, war Gehorsam. Im Übrigen war sie ihr eigener Herr. Dass Gösta ihren Körper einige Male im Monat nahm, war ihr mittlerweile gleichgültig. Seine Befriedigung zeigte, dass sie dazu taugte. Solange Gösta sie haben wollte, war sie sicher. Solange Gösta zurückkehrte und mehr wollte, durfte sie weiterleben.
Falls sie das überhaupt wollte.
In ihren dunkelsten Stunden dachte sie an das Seil. Das war es, was Gösta und Marianne in letzter Konsequenz von ihr erwarteten. Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Aber an dem Punkt war Ylva noch nicht angelangt. Und Göstas halbe Versprechung, sie nach oben zu holen und sie das Haus putzen zu lassen, hatte einen Funken Hoffnung in ihr angefacht. Sie sah es fast vor sich. Wie sie – zwar unter Aufsicht – mit dem Staubsauger herumfuhrwerkte und von dem Tageslicht geblendet wurde, das
durch alle Fenster hereinfiel. Farben und die Geräusche von draußen erfüllten sie. Allein der Gedanke daran überwältigte Ylva.
Sie kannte jeden Winkel des Kellers, jede Unebenheit im Putz war in ihrem Gedächtnis abgespeichert. Der Keller bedeutete Sicherheit.
Gösta schlug sie selten. Es reichte, dass er die Hand hob. Ylva verstand, dass er dazu gezwungen war. Um sie daran zu erinnern, wer das Sagen hatte.
Marianne war schlimmer, höhnisch und demütigend.
Manchmal fantasierte Ylva von Mariannes Tod. Dass nur Gösta und sie übrig blieben. Ylva wünschte Marianne eine schleichende Krankheit, keinen plötzlichen Unfall. Es sollte ruhig etwas dauern.
»Das könnte dir so passen, aufzubegehren«, sagte Marianne immer wieder. »Vergiss nicht, was du bist. Eine Kloake für die Körperflüssigkeiten meines Mannes. Mehr nicht.«
Bei ihrem letzten Besuch im Keller hatte sie gegrinst.
»Ich glaube, du träumst von deinem alten Leben. Ja, ich glaube wirklich, dass du das tust. Das sagt einiges darüber, wie dumm du bist. Wann hast du dich das letzte Mal im Spiegel angeschaut? Halb so hässlich wie du wäre schon mehr als genug. Ich suche nach Worten, um zu beschreiben, was du bist, aber mir fällt nichts ein. Doch, jetzt weiß ich es. Ausgeleiert. Da hast du es. Du
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