Enthüllung
Treppenhaus.
»Ich komme schon zurecht«, sagte er.
»Ich weiß. Aber es muß trotzdem hart sein. So vieles passiert gleichzeitig, und niemand gibt Ihnen Informationen. Es ist bestimmt sehr anstrengend, alles selbst herausfinden zu mü s sen.«
Niemand gibt Ihnen Informationen?
»Na ja«, sagte er sehr bedächtig, »ja, es ist schon schwer, alles selbst herausfinden zu müssen, Stephanie.«
Sie nickte. »Ich erinnere mich, als ich in der Branche anfing, hatte ich eine Freundin, die einen sehr guten Posten in einer Firma bekam, die normalerweise keine Frauen in Führungsp o sitionen einsetzte. In ihrer neuen Anstellung hatte sie mit sehr großen Belastungen und Krisen zu kämpfen. Sie war stolz darauf, die Probleme so gut zu meistern. Aber dann stellte sich heraus, daß man sie nur genommen hatte, weil es in ihrer Abteilung einen Finanzskandal gab, und sie hatten sie von Anfang an nur eingestellt, damit sie die Konsequenzen auf sich nahm. Ihr Job hatte nicht das geringste mit dem zu tun, was sie sich vorgestellt hatte. Sie war total naiv gewesen. Und als man sie entließ, suchte sie die Schuldigen in der völlig falschen Ecke.«
Sanders sah sie verdutzt an. Warum erzählte sie ihm das? »Eine interessante Geschichte.«
Kaplan nickte. »Eine Geschichte, die ich nie vergessen habe.« Im obersten Stockwerk wurde die Tür aufgestoßen; jemand kam herunter. Ohne noch ein Wort zu verlieren, drehte Kaplan sich um und ging die Treppe hinauf.
Sanders eilte kopfschüttelnd weiter nach unten.
I n dem großen, holzgetäfelten Raum der Nachrichtenreda k tion des Post-Intelligencer hob Connie Walsh den Blick von ihrem Computer und sagte: »Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
»Doch, es ist mein Ernst«, sagte Eleanor Vries, die neben ihr stand. »Die Story ist gestorben.« Sie ließ den Computerausdruck auf Walshs Schreibtisch fallen.
»Aber Sie kennen meinen Informanten«, sagte Walsh. »Und Sie wissen, daß Jake das gesamte Gespräch mitgehört hat. Wir haben gute Aufzeichnungen, Eleanor. Sehr gute Aufzeichnu n gen.«
»Ich weiß.«
»Also, wie sollte die Firma in Anbetracht dieses Informanten auf die Idee kommen, uns zu verklagen? Eleanor: Ich habe die verdammte Story !«
»Sie haben eine Story. Und die Zeitung hat sich bereits viel zu sehr exponiert.«
»Bereits? Durch was denn?«
»Durch die Mr.-Piggy-Kolumne.«
»Also, ich bitte Sie! Anhand dieser Kolumne läßt sich die Person doch nicht identifizieren!«
Vries zog eine Kopie der Kolumne hervor. Sie hatte mehrere Passagen mit gelbem Textliner markiert. »Die Firma X soll eine High-Tech-Firma in Seattle sein, die gerade eine Führungsp o sition mit einer Frau besetzt hat. Von Mr. Piggy heißt es, daß er ihr Untergebener ist und daß er den Vorwurf der sexuellen Belästigung erhoben hat. Mr. Piggys Ehefrau ist eine Anwältin mit kleinen Kindern. Und dann schreiben Sie noch, Mr. Piggys Beschuldigung entbehre jeder Grundlage, er sei ein Säufer und Frauenheld. Ich denke, Sanders kann durchaus behaupten, daß er wiedererkannt werden könnte, und uns wegen übler Nachrede anzeigen.«
»Aber das ist eine Kolumne, ein reiner Kommentar.«
»Diese Kolumne unterstellt Tatsachen. Und sie unterstellt diese Tatsachen auf sarkastische und unglaublich übertriebene Art und Weise.«
»Es ist ein Artikel, der eine Meinung wiedergibt. Und die freie Meinungsäußerung ist gesetzlich geschützt.«
»Das ist in diesem Fall nicht so sicher. Ich mache mir Vo r würfe, diese Kolumne überhaupt zum Druck freigegeben zu haben. Aber jetzt geht es darum, daß wir nicht behaupten können, keine bösen Absichten gehegt zu haben, wenn wir weitere Artikel darüber veröffentlichen.«
»Sie machen sich also in die Hosen!« sagte Walsh.
»Und Sie gehen ziemlich skrupellos mit dem Inhalt der Hosen anderer Leute um«, sagte Vries. »Die Story ist gestorben, dabei bleibt es. Ich werde es schriftlich festlegen. Kopien erhalten Sie, Marge und Tom Donadio.«
»Scheißanwälte! Wo leben wir eigentlich? Diese Geschichte muß an die Öffentlichkeit gebracht werden!«
»Machen Sie bloß keinen Quatsch, Connie. Ich sage es Ihnen! Machen Sie keinen Quatsch!«
Sie rauschte hinaus.
Walsh durchblätterte die Manuskriptseiten. Zwei Tage lang hatte sie an der Story gearbeitet, hatte sie geglättet und g e schliffen, bis sie genau so war, wie sie sein sollte. Und jetzt wollte sie, daß die Geschichte auch erschien. Für ein Denken in juristischen Kategorien brachte sie nicht die Geduld auf. Die ganze
Weitere Kostenlose Bücher