Enthüllung
wissen es doch ganz genau. Es muß wie ein schlechter Traum gewesen sein, wie ein Alptraum aus Ihrer Vergangenheit, als Sie hörten, daß dieser Mensch, vor dem Sie einst geflüchtet waren, jetzt nach Seattle kommen, Sie bis hierher verfolgen und dann auch noch Ihre Vorgesetzte in der Firma werden würde! Daß sie sich den Job nahm, den Sie wollten, den Job, von dem Sie dachten, Sie hätten ihn verdient!«
»Ich weiß nicht …«
»Wirklich nicht? Ich an Ihrer Stelle wäre sehr, sehr wütend. Ich würde sie mir vom Hals schaffen wollen, und wie! Sie hatte Sie einmal sehr verletzt, und Sie wollten sich nicht ein zweites Mal verletzen lassen. Aber welche Möglichkeiten hatten Sie schon? Sie hatte den Job, und sie wurde von Garvin protegiert. Garvins Macht schützte sie, und wenn man etwas gegen sie sagte, hörte er gar nicht hin. Richtig?«
»Richtig.«
»Während Sie schon seit vielen Jahren Garvin nicht mehr nahestanden, weil es Garvin von Anfang an nicht recht gewesen war, daß Sie den Job in Seattle übernahmen. Er hatte Ihnen diesen Job zwar angeboten, gleichzeitig jedoch erwartet, daß Sie ablehnen. Garvin liebt Menschen, die er protegieren kann. Er liebt es, wenn sich zu seinen Füßen die Bewunderer scharen. Und er liebt es nicht, wenn diese Bewunderer zusammenpacken und in eine andere Stadt ziehen. Deshalb war Garvin enttäuscht von Ihnen. Es wurde nie wieder so, wie es einmal gewesen war. Und dann tauchte plötzlich diese Frau aus Ihrer Vergangenheit auf, eine Frau, die von Garvin gefördert wurde. Was konnten Sie da tun? Wie konnten Sie Ihre Wut loswerden?«
In Sanders’ Kopf jagten sich die Gedanken. Als er an die Ereignisse jenes ersten Tages zurückdachte – an die Gerüchte, an Blackburns Ankündigung, an das erste Wiedersehen mit ihr –, konnte er sich nicht erinnern, Wut empfunden zu haben. Seine Gefühle waren an jenem Tag sehr ambivalent gewesen, aber Wut hatte er nicht empfunden, dessen war er sicher …
»Thomas, Thomas. Hören Sie auf zu träumen. Sie haben keine Zeit dazu.«
Sanders schüttelte den Kopf. Er konnte nicht mehr klar de n ken.
»Thomas: Sie haben das alles arrangiert. Ob Sie es zugeben oder nicht, ob Sie sich dessen bewußt sind oder nicht. In gewisser Hinsicht ist das, was geschah, genau das, was Sie beabsichtigten. Und Sie sorgten dafür, daß es sich ereignete.«
Plötzlich dachte Sanders an Susan. Was hatte sie damals in dem Restaurant gesagt?
Warum hast du es mir nicht erzählt? Ich hätte dir helfen können.
Und natürlich hatte sie recht gehabt. Sie war Anwältin; sie hätte ihn beraten können, wenn er ihr an jenem ersten Abend alles erzählt hätte. Sie hätte ihm gesagt, was zu tun sei. Sie hätte ihn da wieder herausgeholt. Aber er hatte es ihr nicht erzählt.
Jetzt können wir nicht mehr viel tun.
»Sie wollten diese Konfrontation, Thomas.«
Und dann Garvin: Sie war Ihre Freundin, und es paßte Ihnen nicht, daß sie Sie verließ. Deshalb wollen Sie sich jetzt an ihr rächen.
»Die ganze Woche hindurch haben Sie daran gearbeitet, es zu dieser Konfrontation kommen zu lassen.«
»Max –«
»Deshalb erzählen Sie mir bitte nicht, Sie seien hier das Opfer. Sie sind kein Opfer. Sie sehen sich selbst als Opfer, weil Sie keine Verantwortung für Ihr Leben übernehmen wollen. Weil Sie sentimental und faul und naiv sind. Sie denken, andere Menschen sollten sich um Sie kümmern.«
»Max, verdammt –«
»Sie leugnen Ihren Anteil an dieser Sache. Sie geben vor, alles vergessen zu haben. Sie tun so, als wäre Ihnen alles unbewußt geblieben. Und jetzt tun Sie auch noch so, als wären Sie durcheinander.«
»Max –«
»Ach, ich weiß nicht, warum ich mich mit Ihnen noch abgebe! Wie viele Stunden bleiben Ihnen noch bis zu dieser Sitzung? Zwölf? Zehn? Und Sie verschwenden Ihre Zeit und reden mit einem verrückten alten Mann!« Er drehte den Rollstuhl zur Tür. »Wenn ich Sie wäre, würde ich mich an die Arbeit machen!«
»Was meinen Sie damit?«
»Nun, Ihre Absichten kennen wir mittlerweile, Thomas. Aber welche Absichten hat Meredith, hm? Auch sie ist dabei, ein Problem zu lösen. Sie hat ein Ziel vor Augen. Also – welches Problem will sie lösen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Sanders.
»Selbstverständlich wissen Sie es nicht. Die Frage ist: Wie wollen Sie es herausfinden?«
I n Gedanken versunken legte er die fünf Straßenblocks zum Il Terrazzo zurück. Fernandez hatte vor dem Eingang auf ihn gewartet. Sie gingen zusammen hinein.
»Ach, du meine
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