Enthüllung
seine Halbbrille hinweg fast mißbilligend an und reichte ihm sehr förmlich die Hand.
»Guten Tag, Mr. Sanders.«
»Mr. Nichols.«
»Und hier John Conley, Neffe des Firmengründers und Viz e direktor des Unternehmens …«
Sanders drehte sich um und sah vor sich einen stämmigen, athletisch wirkenden Mann Ende 20. Randlose Brille, Arm a ni-Anzug, fester Händedruck, ernste Miene. Sanders vermittelte er den Eindruck eines reichen und sehr zielstrebigen Menschen.
»Hi, Tom!«
»Hi John!«
»… und das hier ist Jim Daly von Goldman und Sachs.« Ein schmaler, an einen Storch erinnernder Mann mit beginnender Glatze, im Nadelstreifenanzug. Daly wirkte nervös, ja verwirrt. Er nickte Sanders kurz zu, als sie sich die Hand gaben.
»… und dann natürlich noch Meredith Johnson aus Cupertino.«
Sie war schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Und auch verändert, aber kaum merklich. Älter, selbstverständlich – in den Augenwinkeln sah er Krähenfüße, und die Stirn war von leichten Falten durchzogen. Aber sie hielt sich besser als damals und strahlte eine Kraft und Selbstsicherheit aus, die er sofort mit Macht in Verbindung brachte. Dunkelblaues Kostüm, blondes Haar, große Augen. Und diese unglaublich langen Wimpern! Die hatte er ganz vergessen.
»Hallo, Tom! Schön, dich wiederzusehen!« Ein warmes Lächeln. Ihr Parfum.
»Hallo, Meredith!«
Sie ließ seine Hand los, und die Gruppe bewegte sich, von Garvin angeführt, weiter den Gang hinunter. »Im Stockwerk unter uns befindet sich die Abteilung Virtual Information Environment, die wir Ihnen morgen vorführen werden …«
Mark Lewyn trat aus dem Konferenzraum und sagte zu Sa n ders: »Na, bist du den Kerlen aus dem Verbrecheralbum begegnet?«
»Kann man wohl so sagen«, murmelte Sanders.
Lewyn sah der Gruppe nach. »Kaum zu glauben, daß diese Typen bald das Unternehmen leiten werden. Ich habe ihnen heute morgen einen Kurzvortrag gehalten, und ich sage dir: Die haben von Tuten und Blasen keine Ahnung. Geradezu e r schreckend ist das.«
Als die Gruppe am Ende des Gangs angekommen war, warf Meredith Sanders über die Schulter hinweg einen Blick zu, formte mit den Lippen die Worte »Ich ruf’ dich an« und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Dann war sie ve r schwunden.
Lewyn seufzte tief auf. »Tja«, sagte er, »man sieht, daß du einen hervorragenden Draht zu unserem Top-Management hast, Tom.«
»Schon möglich.«
»Ich möchte zu gern wissen, warum Garvin sie dermaßen toll findet.«
»Na, aussehen tut sie ja wohl toll, oder?« sagte Sanders.
Lewyn wandte sich zum Gehen und murmelte: »Abwarten. Abwarten.«
U m 20 nach 12 verließ Sanders sein Büro im vierten Stock, um in den großen Konferenzsaal hinunterzugehen, wo das Mittagessen stattfinden sollte. Noch bevor er die Treppe erreicht hatte, begegnete ihm eine in gestärkte weiße Tracht gekleidete Krankenschwester, die nacheinander in jedes Büro hineinsah und immer wieder kopfschüttelnd sagte: »Wo ist er denn? Eben war er doch noch hier!«
»Wer?« fragte Sanders.
»Der Professor.« Die Schwester blies sich eine Haarsträhne aus dem Auge. »Keine fünf Minuten kann man ihn alleine lassen …«
»Welcher Professor?« Aber da hörte Sanders schon in einem Büro, das weiter unten am Gang lag, Frauen kichern und konnte sich die Frage selbst beantworten. »Professor Dorfman?«
»Ja. Professor Dorfman«, bestätigte die Schwester grimmig nickend und eilte der Quelle des Gelächters entgegen.
Sanders folgte ihr einigermaßen verwundert. Max Dorfman war ein deutschstämmiger, mittlerweile hochbetagter Unte r nehmensberater. Im Lauf der Zeit hatte er an jeder großen amerikanischen Universität als Gastdozent Betriebswirtschaft gelehrt und galt als Guru der High-Tech-Unternehmen. Fast die gesamten 80er Jahre hindurch war er Mitglied des Verwa l tungsrats von DigiCom gewesen und hatte Garvins aufstrebe n der Firma damit großes Prestige verliehen. Und während dieser Jahre war er für Sanders zu einer Art Mentor geworden. Er hatte ihn damals, vor acht Jahren, überredet, Cupertino zu verlassen und den Job in Seattle anzunehmen. »Ich wußte nicht, daß er noch lebt«, sagte Sanders.
»Und wie der lebt!« bemerkte die Schwester trocken.
»Er muß an die 90 sein.«
»Tja, benimmt sich aber, als wäre er gerade mal 85.«
Während sie auf die Bürotür zugingen, kam plötzlich Mary Anne Hunter heraus. Sie hatte sich umgezogen, trug jetzt Rock und Bluse, und lächelte so selig, als käme
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