Enthüllung
sie gerade von ihrem Liebhaber. »Tom, du errätst nie, wer hier ist!«
»Max.«
»Genau! Du mußt ihn dir ansehen, Tom – er hat sich übe r haupt nicht verändert!«
»Das glaube ich gern«, erwiderte Sanders. Schon vor der Tür konnte man den Rauch von Dorfmans Zigaretten riechen.
Die Krankenschwester rief mit strenger Stimme: »Also, Herr Professor!« und rauschte in den Raum. Sanders warf einen Blick hinein. Es war einer der Aufenthaltsräume für die Angestellten. Max Dorfman saß im Rollstuhl an dem Tisch in der Mitte und war umringt von hübschen Sekretärinnen. Die Frauen waren ganz aus dem Häuschen seinetwegen, während der weißhaarige alte Herr selbst in aller Ruhe und glücklich grinsend aus einer langen Zigarettenspitze rauchte.
»Was macht er denn hier?« wollte Sanders wissen.
»Garvin hat ihn hergebeten, weil er sich von ihm über die Fusion beraten lassen will«, erklärte Mary Anne Hunter. »Möchtest du ihn nicht begrüßen?«
»Nur das nicht – du kennst doch Max. Er kann einen verrückt machen.« Dorfman liebte es, Menschen von durchschnittlicher Intelligenz hochzunehmen, ging dabei aber sehr subtil vor. Er sprach immer mit einem leicht ironischen Unterton, der gleichzeitig provozierend und spöttisch wirkte. Zugleich war er ein Freund von Widersprüchen und zögerte nie, zu lügen. Wenn man ihn beim Flunkern ertappte, sagte er sofort: »Ja, das stimmt. Ich weiß gar nicht, was ich mir dabei gedacht habe.« Dann aber sprach er im selben Atemzug in der gleichen zermürbenden, mit Anspielungen durchsetzten Weise weiter. Was er wirklich dachte, sagte er nie; das herauszufinden überließ er seinem jeweiligen Gesprächspartner. Seine ausschweifenden Monologe verwirrten und erschöpften selbst höchste Führungskräfte.
»Aber ihr wart doch so gut miteinander befreundet«, sagte Hunter zu Sanders. »Er würde sich bestimmt freuen, wenn du ihm guten Tag sagen würdest.«
»Im Augenblick hat er ja zu tun. Später vielleicht.« Sanders sah auf seine Uhr. »Wir kommen sowieso schon zu spät zum Lunch.«
Er eilte den Gang Richtung Treppe weiter. Mary Anne Hunter ging mit nachdenklicher Miene neben ihm her. »Seine Art ist dir schon immer ziemlich unter die Haut gegangen, was?«
»Seine Art ist jedem unter die Haut gegangen. Das beherrscht er am allerbesten.«
Sie betrachtete ihn verdutzt und setzte zu einer Bemerkung an, aber dann ließ sie es bleiben und zuckte nur mit den Achseln. »Mir soll’s recht sein.«
»Ich bin jetzt einfach nicht in der Stimmung für ein Dorfman-Gespräch«, sagte Sanders. »Vielleicht später. Aber nicht jetzt.« Sie liefen die Treppe zum Erdgeschoß hinunter.
W ie die meisten modernen High-Tech-Firmen folgte auch DigiCom dem Trend zu schnörkelloser Funktionalität und verzichtete daher auf einen eigenen Speisesaal. Geschäftsessen fanden in Restaurants der Umgebung statt, meistens im nah e gelegenen Il Terrazzo . Da die Fusion jedoch strenger Gehei m haltung unterlag, hatte DigiCom das Mittagessen in den großen holzgetäfelten Konferenzsaal im Erdgeschoß liefern lassen. Pünktlich um halb eins saßen die leitenden Angestellten der technischen Abteilungen von DigiCom, die Führungsspitze von Conley-White sowie die Banker von Goldman und Sachs an den Tischen. Der Raum war voll. Wegen des bei DigiCom her r schenden Gleichheitsgrundsatzes gab es keine Tischordnung; dennoch hatten die führenden Conley-White-Leute allesamt am Tischende im vorderen Teil des Konferenzsaals Platz geno m men; auch Garvin saß bei ihnen. Das Macht-Ende des Tisches.
Sanders suchte sich einen Platz, der mehr am gegenüberli e genden Tischende lag, und war überrascht, als Stephanie Kaplan sich kurze Zeit später auf den Stuhl zu seiner Rechten setzte. Normalerweise hielt sie sich viel näher bei Garvin auf; Sanders selbst stand in der Hackordnung beträchtlich unter ihr. Links von ihm saß Bill Everts, der Leiter der Personalabteilung, ein netter, etwas langweiliger Mensch. Während weißgekleidete Kellner das Essen servierten, unterhielt Sanders sich mit ihm über das Fischen vor Orcas Island, Everts’ große Leidenschaft. Kaplan war wie üblich die meiste Zeit hindurch schweigsam; sie schien geradezu in sich hineinzukriechen.
Irgendwann überkam Sanders das Gefühl, daß er sich ihr ein bißchen widmen müsse. Gegen Ende des Essens wandte er sich zu ihr und sagte: »Mir ist aufgefallen, daß Sie in den letzten Monaten öfter bei uns in Seattle sind als sonst. Hat das etwas mit
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