Enthüllung
brandneu.
Susan würde es niemals akzeptieren. Ihre Kanzlei in Seattle lief gut; auf diesen Erfolg hatte sie acht Jahre lang hingearbeitet. Den Kleinen gefiel es hier. Das Haus war gerade umgebaut worden. Wenn Sanders auch nur andeutungsweise von einem Umzug spräche, würde Susan sofort Verdacht schöpfen und wissen wollen, was dahintersteckte. Und früher oder später würde sie es herausfinden. Wenn er sich mit der Versetzung einverstanden erklärte, käme das einem Schuldeingeständnis seiner Frau gegenüber gleich.
Ganz egal von welchem Standpunkt aus er die Sache b e trachtete, Sanders konnte nirgendwo eine Lösung des Problems entdecken. Sie würden ihn so oder so bescheißen.
Ich bin dein Freund, Tom, ob du es nun glaubst oder nicht.
Ihm fiel wieder ein, wie Blackburn als sein Trauzeuge bei der Hochzeit Susans Ehering in Olivenöl tauchen wollte, weil es, wie er sagte, stets schwierig sei, den Ring über den Finger zu streifen. Blackburn hatte panische Angst gehabt, irgendeine winzige Kleinigkeit während der Zeremonie könnte schiefg e hen. So war Phil: stets um das äußere Erscheinungsbild besorgt.
Deine Frau braucht nichts davon zu erfahren.
Aber Phil ließ ihn hängen. Und hinter Phil stand Garvin. Beide ließen sie ihn hängen. Sanders hatte viele Jahre lang hart für die Firma gearbeitet, und jetzt war er ihnen völlig gleichgültig. Sie stellten sich ganz offen auf Meredith’ Seite.
Nicht einmal seine Version des Vorfalls wollten sie sich anhören.
Je länger Sanders so im Regen stand, um so mehr schwächte sich der Schock ab. Und mit dem Schock verschwand auch seine Loyalität. Er wurde wütend.
Er holte sein Telefon hervor und gab einen Wahlbefehl ein.
»Büro Mr. Perry.«
»Hier spricht Tom Sanders.«
»Tut mir leid, Mr. Perry ist im Gericht. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
»Vielleicht können Sie mir helfen. Er hat unlängst eine Dame erwähnt, die bei Ihnen für Fälle von sexueller Belästigung zuständig ist.«
»Wir haben mehrere Anwälte und Anwältinnen, die solche Fälle übernehmen, Mr. Sanders.«
»Er erwähnte eine Latina.« Sanders versuchte sich an weitere Einzelheiten zu erinnern, die Perry erwähnt hatte. Hatte er nicht irgendwas von sanft und zurückhaltend gesagt? Sanders wußte es nicht mehr genau.
»Dann meinte er wohl Ms. Fernandez.«
»Können Sie mich mit ihr verbinden?«
I hr Büro war klein, ihr Schreibtisch mit hohen, ordentlich aufeinandergestapelten Papieren und Gerichtsakten sowie einem Computer beladen. Als er eintrat, erhob sie sich. »Sie sind wohl Mr. Sanders.«
Sie war eine große Frau Mitte 30, mit geradem blonden Haar und einem hübschen, etwas hageren Gesicht. Sie trug ein dunkelblaues Kostüm, hatte eine direkte, offene Art, und ihr Händedruck war fest. »Ich bin Louise Fernandez. Was kann ich für Sie tun?«
Sie war ganz anders, als er erwartet hatte. Sie war nicht sanft und zurückhaltend, ganz und gar nicht. Und am allerwenigsten sah sie wie eine Latina aus. Einen Moment lang brachte er vor Verblüffung kein Wort heraus. Schließlich sagte er: »Danke, daß Sie mir so schnell einen Termin gegeben haben.«
»Sie sind ein Freund von John Perry?«
»Ja. Er hat vor kurzem erwähnt, daß Sie sich, nun ja, auf solche Fälle spezialisiert haben.«
»Ich mache vor allem Arbeitsrecht, insbesondere erzwungene Kündigung durch den Arbeitnehmer und Artikel-VII-Klagen.«
»Aha.« Er stand da und hatte plötzlich das Gefühl, daß es idiotisch gewesen war, hierherzukommen. Ihre forsche Art, ihre elegante Erscheinung überraschten ihn. Wenn er es sich recht überlegte, fand er, daß sie Meredith sehr ähnlich war. Bestimmt würde sie ablehnend auf seine Geschichte reagieren.
Sie drehte sich um, trat hinter den Schreibtisch und setzte eine Brille mit Horngestell auf. »Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Sa n ders. Haben Sie schon gegessen? Ich kann Ihnen ein Sandwich bringen lassen, wenn Sie wollen.«
»Nein, danke. Ich habe keinen Hunger.«
Sie schob einen Teller mit einem angebissenen Sandwich beiseite.
»Tut mir leid, aber ich muß in einer Stunde ins Gericht. Manchmal wird die Zeit etwas knapp.« Sie zog einen gelben Notizblock hervor und legte ihn vor sich hin. Das alles tat sie mit raschen, entschlossenen, routinierten Bewegungen.
Sanders beobachtete sie, und sein Gefühl, an die Falsche geraten zu sein, wuchs. Er hätte nie hierherkommen dürfen. Er hatte einen Fehler begangen. Er sah sich in dem Büro um; sein Blick fiel auf einige
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