Entmündigt
Tricks verheimlichen konnte. Sie mußten bei einer Überprüfung der Firma nach dem Tod Bruno Peltzners herauskommen. Gisela ahnte, daß manches nicht stimmte, und beauftragte mich mit der Kontrolle der Bücher. Die Folge – Sie können es sich vielleicht denken … Was ich da zusammengerechnet habe, genügt völlig, alle Eile zu entwickeln, um einen Menschen für irr erklären zu lassen und sich dadurch vor ihm zu schützen. Es sind Menschen schon wegen wesentlich geringerer Summen ermordet worden …«
»Und weiter …?«
»Weiter habe ich nichts. Noch nichts!«
»Das ist mager …«
»Ich weiß es.«
Dr. Pade schlug den Aktendeckel auf, blickte aber nur flüchtig hinein.
»Lassen Sie uns einmal gemeinsam alles durchdenken. Ganz simpel: Was können Sie tun … was kann ich tun …?«
»Sie, Herr Pade?«
»Ja, ich.« Dr. Pade stützte den Kopf in die Hand. »Ich glaube, daß Ihre Gisela gesund ist …«
Frau Paulis kam wieder zu Besuch in die Klinik. Sie brachte außer Ludwig, dem Bernhardiner, einen großen Blumenstrauß mit, ferner Konfekt, mit Schokoladencreme gefüllte Waffeln und einige Packungen kandierte Früchte.
»Wenn Sie es erlauben, Herr Professor«, sagte sie zu Maggfeldt, der sie sofort zu sich führen ließ, als der Portier sie anmeldete, »ich möchte meine ehemaligen Mitpatientinnen besuchen. Die ›russische Gräfin‹, die Generalswitwe … wie geht es ihnen denn, Herr Professor?«
»Wie immer. Frau General rekonstruiert Blüchers Übergang über den Rhein, und die ›russische Gräfin‹ komponiert seit drei Wochen an einem tatarischen Liebeslied. Sicherlich wird sie es Ihnen vorsingen.«
»Und Gisela?«
»Sie freut sich, Sie zu sehen. Die Schwester Erna wird Sie zu allen hinführen.«
Die Generalswitwe sah von ihren Schachfiguren, die sie wie Bleisoldaten in Formationen über das Schachbrett marschieren ließ, auf und streckte mit einem freudigen Ausruf Frau Paulis beide Hände entgegen. Die ›russische Gräfin‹ saß, wie seit Monaten, im Bett, hatte die Haare hochgesteckt, sah in einen Handspiegel und summte vor sich hin. Im Laufe der vergangenen Wochen hatte sie sich in eine tatarische Prinzessin verwandelt, die sehnsüchtig auf den Geliebten wartete, der irgendwo in der weiten Steppe gegen die Kamelräuber kämpfte. Sie beachtete niemanden. Es war unter ihrer Würde.
Das änderte sich, als Ludwig ins Zimmer kam. Die ›russische Gräfin‹ ließ den Handspiegel fallen, ihr Mund klappte auf, die Augen wurden starr und quollen hervor … dann streckte sie den rechten Arm aus und zeigte auf den Hund, der leicht mit der Rute wedelte.
»So stark wie Taras Bulba!« stammelte sie. »Kraftvoll wie Kublai Chan! Oh!«
Speichel tropfte aus ihrem Mund. Sie lehnte sich in die Kissen zurück, schloß die Augen und wiegte ihren Oberkörper nach einer unhörbaren Melodie hin und her.
»Wie geht es Ihnen, meine Gute?« sagte die Generalswitwe. Sie umarmte Frau Paulis und führte sie an ihren Tisch. »Stellen Sie sich vor«, sagte sie dabei, »Blücher hat in den Nächten des Rheinüberganges nur ganze zwei Stunden geschlafen! Vier Tage lang saß er im Sattel! Welch ein Mann! Solche Männer gibt es heute gar nicht mehr! Zehn Stunden Schlaf verlangen sie … ich frage Sie: Sind das noch Männer?«
»Nein«, sagte Frau Paulis gehorsam. Sie wußte, daß die nette Generalswitwe sehr böse werden konnte, wenn jemand anderer Meinung war als sie.
Ludwig wanderte in dem Zimmer umher, während Frau Paulis ihre Geschenke aus der Tasche packte. Das Summen der ›russischen Gräfin‹ reizte ihn … er ging zu ihrem Bett, stellte sich auf die Hinterpfoten, beugte sich über ihr Gesicht und leckte ihr die Stirn und die Augen.
»Wostork! Wostork!« schrie die Gräfin in hellem Entzücken. Sie umarmte den dicken Hundekopf und drückte ihn an ihre Brust. Ludwig ließ es mit sich geschehen.
Dann war sie mit einem Satz aus dem Bett gesprungen. »Heij!« jauchzte sie jetzt. »Heij! Die Tataren kommen zurück.« Und ehe es Frau Paulis oder die hereinstürzende Schwester verhindern konnten, hatte sie sich auf den breiten Rücken Ludwigs geschwungen und die Hacken in seine Weichen gedrückt. »Dawai, dawai!«
Ludwig schüttelte sich nur ein wenig, da lag die russische Gräfin auf dem Boden. Sie schien sich aber nicht weh getan zu haben, vielleicht war ihr der Sturz überhaupt nicht bewußt geworden. Frau Paulis und die Schwester trugen sie ins Bett zurück und deckten sie zu. Sie ließ es willenlos
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