Entmündigt
auf ihre Schulter und drückte sie sanft.
»Sie dürfen sich jetzt nicht aufregen«, sagte er. »Vielleicht ist er beruflich unterwegs … Außerdem – ich hatte ihm sehr dringend empfohlen, nicht an Sie zu schreiben, nicht anzurufen, alles zu vermeiden, was Sie erregen könnte. Ich brauchte, um meine Untersuchungen richtig durchführen zu können, einen Patienten, der vollkommen ruhig ist, verstehen Sie das?«
Professor v. Maggfeldt blieb an diesem Morgen nur ein paar Minuten. Er hatte noch einen Neuzugang zu untersuchen.
Und für Gisela begannen wieder die bedrückenden Gedanken: Werde ich das durchhalten? Werde ich beweisen können, daß ich normal bin … Oder werde ich unter den Verrückten auch langsam verrückt?
Dabei bot ihr das Leben, das sie in Maggfeldts Sanatorium führte, äußerlich die vollkommene Ruhe und Sorglosigkeit des Aufenthalts in einer exklusiven Kurklinik. Sie bewohnte ein großes, sonniges Zimmer mit modernen, hellen Möbeln, mit eigenem Bad und einem Fernsehgerät. Sie stellte es nie an … der Blick in die Welt, aus der man sie verstoßen hatte, erinnerte sie nur daran, daß die herrliche Umgebung, in der sie jetzt lebte, ein Schloß mit klinkenlosen Türen war, ein Park, den eine hohe Mauer umgab, ein Blumengarten, in dem grinsende oder stumpf vor sich hinstierende Gärtner arbeiteten, beaufsichtigt von weißgekleideten Pflegern, großen kräftigen Männern mit Händen wie Schaufeln, deren Griff hart und brutal sein konnte. Das Schwimmbecken mit dem angewärmten Wasser hätte im Garten eines Luxushotels auf Mallorca liegen können.
Langsam resignierte Gisela Peltzner. Und manchmal, wenn sie sich nicht ganz fest in der Hand hatte, spürte sie neben der dumpfen Resignation bereits die ersten Regungen greller Verzweiflung. Sie lebte hier in einer Hölle, die manchmal wie ein Paradies aussah, und niemand konnte ihr sagen, wie lange das noch dauern würde.
In der Klinik hatten sich zwei Gruppen gebildet. Oberarzt Dr. Pade vertrat die Ansicht, daß Gisela Peltzner gesund sei; er bemühte sich, sie nicht mit anderen Insassen in Berührung kommen zu lassen und alles von ihr abzudrängen, was ihr die entsetzliche Wahrheit immer wieder klarmachen mußte: Ich bin in einem Irrenhaus! Auch die Oberpflegerin hielt Gisela für gesund. Sie war seit 35 Jahren Pflegerin in Heil- und Pflegeanstalten, und sie hatte unendlich viele Schicksale kennengelernt, und ihre Augen waren dabei scharf und klar geworden. Selbst Maggfeldt fragte sie in schwierigen Fällen gelegentlich um ihre Meinung.
»Es wird sich alles als Irrtum herausstellen, glauben Sie mir«, sagte die Oberpflegerin zu Gisela. »Unser Professor ist nur sehr genau. Lieber untersucht er vier Wochen länger, wenn er sich über einen Fall nicht klar wird.«
»Aber ich bin doch gesund! Ich war immer gesund!«
»Das wissen wir. Nur – zwei Ärzte haben das Gegenteil behauptet.«
»Gekaufte Subjekte meines Onkels!«
Die Oberpflegerin schwieg. Wenn ihre Gespräche mit Gisela diesen Punkt erreichten, schwieg sie immer. Denn daß zwei Ärzte gemeinsam und bewußt eine Gesunde in eine Irrenanstalt sperrten, war für sie so ungeheuerlich und unglaubhaft, daß sie dann eher bereit war, an eine Erkrankung Giselas zu glauben.
Professor v. Maggfeldt war sich nicht mehr sicher, ob seine Verdacht-Diagnose einer paraphrenen Erkrankung richtig war. Vieles deutete darauf hin: der absonderliche Haß gegenüber der Verwandtschaft, der augenscheinliche Verfolgungswahn, diese felsenfeste Überzeugung, ihre Familie denke sich nur Gemeinheiten gegen sie aus, die reaktiv dadurch ausgelöst und pseudomanisch anmutende Stiftung einer Viertelmillion für ein Waisenhaus, der von verschiedenen Zeugen bestätigte Nachtwandel, der sich allerdings in der Zeit des Klinikaufenthalts nicht wiederholt hatte … Zusammengenommen, ergab dies den begründeten Verdacht einer nicht gerade harmlosen psychischen Störung, die dazu berechtigen mochte, die Geschäftsunfähigkeit anzunehmen und die Entmündigung zu befürworten.
Und doch zögerte Maggfeldt noch mit einem endgültigen Urteil. Denn allzuviel dieser Symptomatik war allein auf Vorgeschichte und Fremdangaben gestützt. Hinzu kam, daß sein Oberarzt mit Nachdruck erklärte:
»Ich bin der Ansicht, daß hier ein ganz schmutziges Spiel gespielt wird. Und wir werden dazu mißbraucht. Fräulein Peltzner ist gesund wie Sie und ich! Ihre Anklagen wirken nicht wie echte Wahnvorstellungen, es fehlt auch die allgemeine sonstige
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