Entmündigt
Wohnung. Schlafzimmer, einen als Bad dienenden Nebenraum und eine Küche. Es mußte sein, weil die ›russische Fürstin‹ dem Bernhardiner keine Ruhe gelassen hatte. Frau Paulis war in der Nacht durch fremde Geräusche aufgewacht. Sie sah Ludwig bei der alten Russin stehen. Die Russin kniete auf ihrem Bett, dem Hund zugewandt, und sprach beschwörend auf ihn ein. Dann faltete sie die Hände, begann den Oberkörper hin und her zu wiegen und mit leiser, schmelzender Stimme ein tatarisches Liebeslied zu singen.
Die Nachtschwester gab der ›Fürstin‹ zehn Milligramm Serpasil und legte sie sanft in die Kissen zurück. Sie schlief noch, als Frau Paulis am nächsten Morgen nach Pavillon I umzog. Als sie aufwachte, vermißte sie nur Frau Paulis. Die Generalswitwe winkte ab und machte einen sinnlosen Zug auf ihrem Schachbrett.
»Fürst Blücher ist über den Rhein gezogen!« sagte sie dunkel. Die ›Fürstin‹ nickte zufrieden. Sie nahm ihre alte Tätigkeit wieder auf, die sie seit drei Jahren beschäftigte: Sie schrieb weiter an ihren Memoiren. Blatt um Blatt füllte sie damit … seit drei Jahren … und es waren immer nur die beiden Sätze:
»Ich bin Trefomina Alexandra Fürstin Alexejewa, geboren in Leningrad, am 19. Juli 1897. Es war eine kalte Winternacht mit viel Schnee und 30 Grad Wärme …«
Drei Jahre lang … bisher fast zweieinhalbtausend Blatt Papier. Eng beschrieben mit einer zierlichen Handschrift.
»Ich bin Trefomina Alexandra Fürstin Alexejewa …«
Dr. Budde wartete auf seine psychiatrische Untersuchung. Im Untersuchungsgefängnis galt er als ein seltener Fall: er war fröhlich, legte keine Haftbeschwerde ein, er tobte nicht, er drohte nicht mit Schadensersatzklagen. Nur eine Forderung hatte er, die dem Haftrichter geradezu unheimlich war: Er wollte zu Professor v. Maggfeldt in die Anstalt eingewiesen werden.
Mit dem Anwalt, den Klaus Budde am zweiten Tag seiner Untersuchungshaft zu sich bestellte, hatte der Haftrichter eine lange Unterredung in seinem Arbeitszimmer.
»Ich höre, Sie sind ein Freund Dr. Buddes?«
Dr. Gerhard Hartung nickte. Er war ein großer schlanker Mann mit schwarzen Locken und südländisch gebräunter Haut. Wohlhabende Eltern erlaubten ihm nicht nur, einen weißen Sportwagen zu fahren und beste Anzüge zu tragen, sie ermöglichten es ihm auch, seinen Anwaltsberuf als eine Art Hobby anzusehen. Dazu galt er schon vom Typ her als Frauenheld. Dr. Hartung war darüber nicht sehr glücklich. Seine tiefsten Interessen galten immer wieder juristischen Problemen. Deshalb hörte er es viel lieber, wenn man ihn, seiner geschliffenen Plädoyers wegen, in Kollegenkreisen den ›eiskalten Gerd‹ nannte.
»Wir haben zusammen studiert, Klaus und ich«, sagte Hartung zu dem Haftrichter. Vor einer halben Stunde hatte er mit Budde gesprochen und ihn einen Idioten genannt. Erst langsam begriff er, daß das so infam ausgedachte und so reibungslos abgelaufene Attentat als ein Bumerang in die Familie Peltzner zurückkam. Statt Klaus Budde auszuschalten, wurde er in unmittelbare Nähe Giselas geschafft. »Du mußt dafür sorgen, daß ich psychiatrisch untersucht werde!« hatte er seinen Freund Hartung beschworen. »Unternimm alles, damit ich eingeliefert werde. Erzähle denen die tollsten Märchen. Auf jeden Fall muß ich für einige Tage zu Maggfeldt …«
Der Haftrichter blätterte in den Akten Budde. »Sie kennen ihn also schon seit Jahren?« fragte er.
»Seit der Obersekunda. Er hat übrigens schon damals gesoffen.«
»Was hat er?« Der Richter sah verblüfft hoch. »Das sagen Sie, sein Anwalt!«
»Warum nicht? Ich glaube, wir kommen mit Ehrlichkeit am weitesten. Dem Angefahrenen ist nicht viel passiert. Er ist schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Außer einer Beule und einem zerrissenen Anzug ist nichts geschehen. Das Bedenkliche ist nur, daß mein Freund zwar betrunken war, aber in diesem Zustand – ohne Erinnerungsvermögen – den Wagen fuhr. Wie soll man das zusammenreimen? Klaus war immer ein Säufer … wir anderen Kommilitonen haben ihn immer abschleppen müssen … Aber er scheint jetzt in jenem Stadium des chronischen Alkoholismus zu sein, wo das Gehirn alkoholintolerant wird und mit dem abnormen Zustandsbild des pathologischen Rausches reagiert. Auch die Polizei war ja fassungslos …«
»Aha!« Der Richter lächelte schwach. »Sie wollen auf den § 51 hinaus, auf Unzurechnungsfähigkeit …«
»Genau …«
»Dann müßte die Staatsanwaltschaft die Einweisung
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