Entmündigt
Gewissen drückte auf sein Herz und machte es ihm unmöglich, noch ein Wort zu sagen.
»Der Junge macht mir Sorgen«, sagte Ewald unten in der Halle zu seiner Schwester Anna. Er nahm ein neues Sektglas und füllte es. »Mir scheint, hier ist die kritische Stelle unserer Zukunft.«
Anna Fellgrub starrte ihren Bruder an. Ihre statuenhafte Unbeweglichkeit irritierte ihn maßlos. Um so schneller ging er in der Halle hin und her.
»Laß Heinrich aus dem Spiel«, sagte Anna Fellgrub böse. »Und wenn der Gedanke noch so schön für dich ist … laß ihn ungedacht … Heinrich wirst du nie für irr erklären lassen … Nicht, solange ich lebe … Eher verzichte ich auf alles Geld. Und was das bedeutet, kannst du dir ausrechnen …«
Ewald Peltzner blieb ruckartig stehen. Sein breites Gesicht sah plötzlich aus, als sei es weiß bemalt …
»Für jetzt und für alle Zukunft gilt nur eines: Wir dürfen die Nerven nicht verlieren!« sagte Ewald Peltzner zu seiner Schwester. Mit einem heftigen Schluck trank er sein Sektglas leer. »Vor allem unter uns darf es kein Mißtrauen geben und keine dummen Reden, Anna! Wir müssen dastehen wie eine Mauer, an der alles, was noch kommen kann, abprallt! Und es wird noch mehr kommen …« Peltzner stampfte in der Halle auf und ab. »Noch mehr?« Anna Fellgrub wurde noch weißer. Um ihre Augen zuckte es nervös. Sie verfolgte ihren massigen Bruder mit den Blicken und spürte im gleichen Augenblick Angst in sich aufsteigen. »Ich denke, das mit Gisela ist klar … Sie ist entmündigt, wir haben freie Hand …«
»Vergiß diesen Dr. Budde nicht!«
»Der sitzt doch!«
»Nicht mehr lange. Jeden Tag kann die Wahrheit herauskommen. Budde ist nun mal unschuldig – da können wir anstellen, was wir wollen! Wir haben erreicht, was zu erreichen war, mehr ist nicht zu machen!« Ewald Peltzner blieb in der Mitte der Halle stehen und sah in sein leeres Glas. »Wenn das Amtsgericht die Entmündigung ausgesprochen hat, wird es Dr. Budde nie gelingen, einen Gegenbeweis zu führen! Er rennt gegen Fachgutachten an! Aber er kann versuchen, unsere Mauer aufzubrechen. Monique ist in Südfrankreich. An sie kommt er nicht 'ran. Mit dir wird er nicht fertig und ich …« Ewald Peltzner lächelte ein mildes, selbstgefälliges Lächeln. »Na, wir kennen uns ja, Anna! Die weiche Stelle ist dein Sohn Heinrich! Der Junge hat Ideale und das, was man einen guten Charakter nennt!« Peltzner schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wirklich – er macht mir Sorgen!«
»Du kannst Heinrich zum Chef der Londoner Filiale machen!« Anna Fellgrub sah auf ihre gefalteten Hände. Die Trennung von ihrem Sohn bedeutete das Ende des Traumes, ihren Lebensabend an seiner Seite zu verbringen. Aber sie war klug genug, einzusehen, daß eine Millionenerbschaft dieses Opfer wert war.
»Das sollte man sich wirklich überlegen!« Ewald Peltzner schob die Unterlippe vor. »London! Ich werde morgen anrufen. Eine blendende Idee, Anna.«
»Es ist ein großes Opfer für mich …«
»Ich weiß.« Ewald Peltzner sah seine Schwester mokant lächelnd an. Noch immer saß sie da wie eine aus Marmor gehauene Statue. Ganz Schmerz, ganz tiefe Trauer. Wie sie das bloß durchhält, dachte Peltzner bewundernd. Wirklich, zäh sind diese Weiber!
»Das Privatvermögen unseres armen Bruders beträgt in bar etwas über sechs Millionen … nach dem letzten Kontoauszug …«, sagte er leichthin.
Anna Fellgrub hob die Augenbrauen. Ihr Gesicht wurde lang vor Verwunderung. »Das sind für jeden von uns 3 Millionen … außer den Fabriken …« Sie schluckte. Dabei stellt sie sich die Zahl geschrieben vor, eine drei mit sechs Nullen … Es war fast unvorstellbar. Ewald Peltzner erriet ihre Gedanken, und es war ihm ein Bedürfnis, jetzt seiner Schwester einen Stich zu versetzen.
»Jawohl, drei Millionen«, sagte er mit sanfter Stimme. »Ein wirklich annehmbarer Preis für den Verkauf eines Sohnes …«
Im Krankenrevier des Untersuchungsgefängnisses lag Dr. Klaus Budde mit dick verbundenem Kopf und hörte sich an, was sein Freund, Dr. Gerd Hartung, der bei seinen Kollegen am Gericht der ›eiskalte Gerd‹ hieß, bis jetzt erreichen konnte.
Dr. Hartung hatte in allen Zeitungen eine große Anzeige aufgegeben: Wer hat in der Nacht vom 14. auf 15. beobachtet, wie ein Mann vor dem Hause Ellertstraße 4 einen graublauen Wagen aufschloß und damit abfuhr?
Es meldeten sich vier Personen: Ein Mann, der schräg gegenüber wohnte und der nach dem Schlafengehen noch
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