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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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los sein wollte.
    Daher beließ ich es vorerst bei einer Verhaltenstherapie, die mich dennoch ein gutes Stück voranbrachte. Bereits nach der fünften Sitzung stand zumindest ein Entschluss für mich fest: Ich musste mich scheiden lassen. Als Vati gestorben ist, überlegte ich, war er gerade mal fünfzig Jahre alt. Wenn ich die Entscheidung, endlich auf eigenen Beinen zu stehen, so lange aufschob, bis meine Kinder erwachsen waren, wäre ich über vierzig. Dann bliebe mir, falls mich eine ähnliche Krankheit ereilen sollte, gerade noch ein Jahrzehnt, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das war zu wenig. Ich musste mich daher aus Olafs Dominanz befreien, bevor es für einen Aufbruch zu spät war, folgerte ich in meiner eigenartigen Logik.
    Wie abzusehen war, widersetzte sich mein Mann mit aller Macht einer Trennung. Zuerst wollte er mir meinen Entschluss nicht glauben, den ich inzwischen mehrmals verkündet hatte. Danach beschimpfte er mich, umwarb mich, bedrohte mich und fing schließlich an, mich zu bekämpfen. Ich hatte den Eindruck, dass der vormalige Politoffizier mich in alter DDR -Manier zu seinem persönlichen Feind erklärte. Aus meinem Wunsch, mich von ihm zu lösen, entwickelte sich ein Scheidungskrieg, der mit dem Trennungsakt vor dem Familiengericht am 24 . August 1995 leider kein Ende fand.
    Verschärft wurde der Konflikt dadurch, dass Olaf in dieser Zeit ausgerechnet den Kontakt zu meiner Adoptivmutter suchte und ihr hinter meinem Rücken manch abträgliche Bemerkung über mich zutrug. Bisweilen bekam ich den Eindruck, dass sie ihm größeren Glauben schenkte als mir, ja, dass sich die beiden überzeugten Parteigänger der einstigen DDR regelrecht gegen mich verschworen.
    Um den Streit mit meinem Ex-Mann nicht weiter eskalieren zu lassen, hatte ich schweren Herzens in den von einem Gutachten empfohlenen Kompromiss eingewilligt, jedem Elternteil ein Kind zu überlassen. Ich bezog also mit Julia eine kleine Wohnung direkt an meiner Arbeitsstätte im Krankenhaus, Benni hingegen blieb bei Olaf, und so bekam ich ihn nur besuchsweise zu Gesicht. An die Abmachung zwischen uns Eltern, auf freien Wunsch der Kinder die strenge Besuchsregelung lockern zu können, was für mich eine Bedingung meiner Einwilligung war, fühlte sich mein Ex-Mann jedoch bald nicht mehr gebunden. Ich durfte Benni nur noch jedes zweite Wochenende sehen und fühlte mich um meinen Sohn betrogen.
    Dass meine Kinder nun voneinander getrennt waren, überstieg meine Kräfte. Damit war ihnen jenes Los beschieden, das mein Bruder Mirko und ich durchlitten hatten. Es zerriss mir fast das Herz, zu sehen, wie ihr Leid sich in meinem spiegelte. Meinen Frust versuchte ich erfolglos an Spielautomaten zu bewältigen, die ich mit einem Teil meines Haushaltsgeldes fütterte. Meine inzwischen neu aufgetane Stelle in der neurologischen Abteilung des Wilhelm-Griesinger-Krankenhauses in Berlin-Biesdorf hatte ich bei der Scheidung wieder aufgeben müssen, weil sich nach Meinung der Scheidungsrichterin Kinderbetreuung und Schichtbetrieb nicht miteinander vertrugen. Mit meinen Kolleginnen verlor ich eine Gemeinschaft, die mir Rückhalt und Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt hatte.
    Nach meinem Wechsel in die private Krankenpflege bekam ich zu spüren, welche soziale Kälte die neue Marktwirtschaft mit sich gebracht hatte. Achtzehn bis zwanzig Patienten an einem Achtstundentag, Fahrtzeit inklusive, hatte eine Pflegerin zu bewältigen. Hier wurde die Behandlung der Kranken vorwiegend unter Ertragsgesichtspunkten betrachtet. Für persönliche Ansprache oder eine eingehendere Beschäftigung mit der Krankheitsgeschichte blieb keine Zeit. Ich war eine Getriebene der Akkordarbeit. Es konnte kaum schlimmer kommen.
    Manchmal braucht es solche Grenzerfahrungen. Als ich die im April 1996 plötzlich auftretenden Herzrhythmusstörungen nur dank eines in letzter Minute eingesetzten Schrittmachers überlebte, war mir endlich die zwingende Notwendigkeit klar, aus meiner Lethargie auszubrechen. Als Erstes musste ich das Verhältnis zu meinen Müttern klären. Trotz beiderseitiger Enttäuschungen bestand meine Verbindung zu meiner Adoptivmutter fort. Ich wollte eigentlich einen Schlussstrich ziehen, aber sie warb damals regelrecht um meine Gunst, wohl weil sie seit dem Tod ihres Mannes unter ihrer Einsamkeit litt. Ausgerechnet am Muttertag, als sie mich während meines Krankenhausaufenthalts besuchte, kam es zur lange fälligen Aussprache.
    »Katrin«, flehte sie,

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