Entrissen
»du musst mir verzeihen, wenn ich mich daneben benommen habe!« Sie zitterte dabei am ganzen Leib.
Inzwischen hatte auch sie den Kontakt zu Olaf abgebrochen, seit mein Ex-Mann sich bei einem gemeinsamen Restaurantbesuch mit ihr offenbar gründlich deplaziert verhalten hatte. »Irgendwie kommt es mir so vor, als ob dich Olaf richtiggehend zum Feind erklärt hätte«, sagte sie dann und bestätigte damit meine Vermutung. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich von ihr verstanden, was mich wohlgesinnt stimmte. Wenn ich fortan aus Krankheits- oder beruflichen Gründen Unterstützung brauchte, kam sie eigens nach Berlin, um mich tatkräftig zu entlasten.
Mutti und ich beschlossen, es noch einmal miteinander zu versuchen, und tatsächlich entkrampfte sich unser Verhältnis. Sie stellte ihre eigenen Befindlichkeiten zurück und interessierte sich ehrlich für mich. Ich erkannte, dass ihre früher oft gezeigte Gefühlskälte kein Wesenszug war, sondern eher ein Ausdruck ihrer selbstauferlegten Disziplin. Erstmals empfand ich aufrichtigen und nicht eingeforderten Dank. Auf einmal war ein Einvernehmen zwischen uns, wie ich es mit ihr immer gesucht hatte.
Die Annäherung an Mutti war mir umso wichtiger, als es in dieser Zeit zu einem Bruch mit meiner wahren Mama kam. Wieder spürte ich die Pendelbewegung zwischen meinen beiden Müttern. Ich hatte mir vorgenommen, endlich auch meinen leiblichen Vater ausfindig zu machen, und mich an sie gewandt. Doch als ich Mama nach ihm fragte, beschied sie mich nur knapp: »Der ist tot.«
Instinktiv spürte ich, dass dies nicht die Wahrheit war. Tatsächlich ließ Mama mir kurz darauf über meine Halbschwester ohne ein Wort der Entschuldigung die Adresse meines Vaters zukommen. Diese Geste vermochte mich allerdings nicht mehr mit ihrem Verhalten zu versöhnen. Ich fühlte mich belogen und verletzt. Es schmerzte mich, dass sie den Mann verleugnete, der mich gezeugt hatte, und dass sie meinen Wunsch, ihn kennenzulernen, in einer ersten Reaktion kaltherzig ignoriert hatte. Über ein Jahrzehnt lang sollte unser mühsam aufgebauter Kontakt in der Folge brachliegen.
Mein leiblicher Vater zeigte sich auf mein Schreiben hin, dem ich ein Foto von mir und den Kindern beigelegt hatte, desinteressiert und abweisend. Er gab mir zu verstehen, dass er die Angelegenheit für erledigt betrachtete. Er habe nun seine eigene Familie und mit seinen Unterhaltszahlungen bis zur Adoption seine Vaterpflichten erfüllt. Punkt.
Das war ein weiterer Schlag ins Gesicht für mich, und niemand war da, dem ich meine Trauer, meine Wut, meine Hilflosigkeit offenbaren konnte. Ich fühlte mich wie ein Kaufobjekt, das längst abbezahlt war. Dabei hatte ich gar keine Forderungen an meinen leiblichen Vater gestellt. Ich wollte lediglich wissen, wie er aussieht, ob wir Ähnlichkeiten besitzen, was er denkt, wie er fühlt, was für ein Mensch er ist. Er sollte die Chance haben, von der Existenz seiner Tochter und seiner Enkelkinder zu erfahren. Dazu kam es leider nicht. Ich habe meinen Vater nie zu Gesicht bekommen.
Zu allem Überfluss erreichte der Streit mit Olaf im Sommer 1997 einen traurigen Höhepunkt. Als Benni mich vereinbarungsgemäß in meiner Wohnung besuchte, fielen mir einige blaue Flecken an seinem Po auf. Zuerst dachte ich, er sei vielleicht in der Badewanne ausgerutscht und hingefallen. Auf Nachfrage gab mein Söhnchen jedoch zu, dass sein Papa ihn geschlagen habe – mit einer sogenannten peruanischen Hammerkeule, einem richtigen Gewaltinstrument, wie sich später herausstellte. »Ich war vorgestern böse«, sagte der kleine Junge schuldbewusst.
Mir wurde es heiß und kalt zugleich, und ich machte mir heftige Vorwürfe: Warum hatte ich nicht stärker um meinen Sohn gekämpft und ihn vor körperlicher Gefahr geschützt? Nun verstand ich, warum der Junge im zurückliegenden Jahr so oft krank war, was für ihn bedeutete, dass er dann zu mir durfte, um gepflegt zu werden: Auf diese Weise entkam er der Willkür seines offenbar rabiaten Vaters.
Die Kinderärztin bestätigte mir in einem medizinischen Attest Olafs Gewalttätigkeiten gegenüber seinem Sohn. Mit diesem Gutachten und dank der Hilfe einer fähigen Anwältin erstritt ich im Juni 1997 das Aufenthaltsrecht für Benjamin bei mir. Endlich hatte ich nun wieder beide Kinder. Was mir jedoch noch viel wichtiger erschien: Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben einen eigenständigen Entschluss durchgekämpft und nicht nur untätig zugesehen, wie
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