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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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keinen Weg zurück.« Obwohl die Liedzeilen wie ein Auslöser für meinen Entschluss wirkten, überhörte ich die warnende Botschaft hinter diesen Worte.
    Es ist eben doch ein Unterschied, ob man nur telefonisch seine Seele erleichtert oder von neuem den Lebensraum miteinander teilt. Die Vorstellung eines harmonischen Ausgleichs mit meiner Adoptivmutter erwies sich jedenfalls als Illusion. Unser herzliches Einvernehmen in der zurückliegenden Zeit war offensichtlich zu einem guten Teil der räumlichen Distanz zu verdanken gewesen. Nun, da wir uns ständig nahe waren, brachen die alten Verhaltensmuster, die mich einst zur Flucht veranlasst hatten, allmählich wieder durch.
    Wie eine Glucke wehrte ich mich, wenn Mutti abwertende Urteile über meine Kinder abgab oder glaubte, sich in die Erziehung der beiden einmischen zu müssen. Wie in längst überwunden geglaubten Zeiten traf es mich bis ins Mark, wenn ich das Gefühl hatte, dass sie ihren leiblichen Sohn mir gegenüber bevorzugte. Wenn Mutti beispielsweise Sören üppiger und liebevoller zum Geburtstag bedachte als mich, riss diese an sich nebensächliche Geste bei mir sofort alte Wunden auf. Noch immer war ich wie ein verletzbares Aschenputtel, das sich im Wettbewerb um die Gunst der Stiefmutter gegenüber dem Wunschkind uneinholbar im Nachteil fühlte. Enttäuscht stellte ich im Sommer 2005 auch zu ihr den Kontakt ein. Wir waren uns zwar räumlich nah, doch emotional fühlte ich mich ihr so fern wie nach Vatis Tod.
    Zwei Jahre später sah ich die gefühlte Zurücksetzung auch schwarz auf weiß bestätigt. Auf eine dumpfe Ahnung hin hatte ich mir eine Kopie des Grundbuchauszugs vom Haus meiner Adoptivmutter in Langenberg beschafft. Das Schriftstück offenbarte, was ich im Grunde erwartet hatte, dennoch zog es mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Mutti hatte das Haus, in dem ich aufgewachsen war, für den Erbfall allein ihrem leiblichen Sohn überschrieben. Und zwar im Frühjahr 2003 , genau zu dem Zeitpunkt, als ich meine Rückkehr nach Gera angekündigt hatte, als ich mich eigentlich mit ihr versöhnt hatte. Von meinem gesetzlichen Pflichtteil abgesehen, war Sören der alleinige Erbe.
    Mir ging es nicht um den Nachlass. Ich legte keinen Wert auf die Immobilie und gönnte sie dem leiblichen Sohn meiner Adoptiveltern. Was mich traf, war die Botschaft, die das Schriftstück enthielt: Ich hatte nach wie vor keine Chance, von Mutti als vollwertige Tochter anerkannt zu werden. An mir haftete noch immer der Makel des Stiefkinds. Ich gehörte nicht richtig zur Familie, und das war nach dem Tod meines Adoptivvaters nun auch amtlich besiegelt.
    Dennoch war ich nach dem ersten Schock nicht wütend, nicht einmal enttäuscht oder verletzt. Den Grundbuchauszug empfand ich vielmehr wie einen Wegweiser. Zu lange Zeit hatte ich darunter gelitten, nicht zu wissen, wo ich eigentlich hingehöre. In diesem Dokument stand nun die Antwort: Ich hatte in diesem Haus eine vorübergehende Adoptionsherberge gefunden, mehr nicht. Wenn ich in dieser Familie nun aber nicht wirklich zu Hause war, wo hatte ich dann meine Wurzeln? Wenn mein Familienname nur ein vorübergehendes Etikett war, wie lautete mein richtiger Mädchenname?
    Es war eine Lebensphase, die mich in vieler Hinsicht in eine Sackgasse führte. Meine eigenen Familienbande waren zerrissen, mit meiner Adoptivmutter hatte ich gebrochen, der Kontakt zu meiner leiblichen Mutter lag brach. An der Prüfung zur Heilpraktikerin, von der ich mir eine neue Berufsperspektive erhofft hatte, scheiterte ich im Oktober 2007 . Anderen war ich stets nach Kräften zu Hilfe gekommen, wie meine Erziehung es mich gelehrt hatte. Für mich selbst dagegen hatte ich so wenig erreicht. Ich verspürte ein starkes Bedürfnis, mich grundlegend neu zu orientieren und endlich zu meiner eigenständigen Identität zu finden.
    Ich musste unbedingt wissen, wer ich war. Und als Erstes wollte ich meinen ursprünglichen Mädchennamen zurückhaben.
    Als ich mich nach den Möglichkeiten einer Namensänderung erkundigte, stellte ich bei dieser Gelegenheit zu meiner Überraschung fest, dass mein Schicksal durchaus keine Ausnahme war. Mit wachsender Faszination forschte ich im Netz nach allen verfügbaren Informationen zum Thema Adoption. Dabei stieß ich auch auf die Internetseite www.imheim.de . Bis tief in die Nacht las ich die dort gesammelten Erfahrungsberichte. Wie ich selbst, waren auch die anderen Betroffenen als Kinder von ihren Eltern, die in der DDR

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