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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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rapide schwand.
    In mir weckte das eher Trotz. Ich fand durchaus Gefallen an Olafs männlich-dominanter Ausstrahlung. Allerdings keineswegs an der Art und Weise, wie er sie mir glaubte beweisen zu müssen, sobald wir aus dem Sichtfeld meiner Eltern verschwunden waren. Als ich ihm zeigte, wo er sich im Bad die Hände waschen konnte, drückte er sich von hinten so unangenehm dicht an mich heran, dass ich ihm entschieden Einhalt gebot: »Lass das, ich will das nicht!« Leider ohne bleibende Wirkung. Kaum hatten meine Eltern uns nach dem Essen in der Stube allein gelassen, rückte Olaf mir auf dem Sofa schon wieder auf die Pelle und verlangte, sichtlich erregt, einen Kuss. Trotz meiner Ablehnung ließ er nicht davon ab, mich weiter zu bedrängen.
    Damit hatte er für mich seinen Charme und seine Chancen erst mal verspielt. Ich empfand auf einmal nur noch Ekel, fühlte mich abgewertet und benutzt. Wie entwürdigend mir damals seine Übergriffe erschienen, lässt sich daran ablesen, dass ich es heute noch meide, mich neben einen Mann, dem ich kein Vertrauen schenke, auf das Sofa zu setzen. Damals jedenfalls war ich eher erleichtert, als mein aufdringlicher Gast sich am Abend wieder in Richtung Arnstadt zu seinen Eltern empfahl. Er lud mich zum Abschied zwar zum Gegenbesuch nach Binz ein, aber fürs Erste war ich bedient und eher auf Abstand bedacht.
    So ganz wollte ich die Aussicht zum Ausbruch aus meiner familiären Einengung, die dieser Mann versprach, dennoch nicht begraben. Auch nach seiner Abreise erhielt ich unseren Briefwechsel daher aufrecht. Als ich bekannte, wie unwohl ich mich in seiner zudringlichen Gegenwart gefühlt hatte, zeigte Olaf durchaus Einsicht und gab zu, sich falsch verhalten zu haben. Zugleich schwärmte er davon, wie begeistert er von mir war, wie toll er mich fand, und seine Charmeoffensive ließ meine innere Abwehr schwinden. Je abwertender sich meine Mutti über meinen Galan ausließ, desto mehr erwärmte ich mich für ihn. Mir gefiel, dass er sich nicht so schnell beirren ließ. Anfänglich hatte ich sicher gehofft, dass ich mit diesem strammen Kandidaten ihr Wohlwollen gewinnen könnte. Nun begann in meinen Augen eher für ihn zu sprechen, dass sie ihn nicht mochte und er mir im Kampf gegen sie beistand.
    Seine erneute Einladung nach Binz schlug ich trotzdem erst einmal aus, woraufhin er in trotziges Schweigen verfiel. Dabei gab es diesmal tatsächlich einen durchaus triftigen Hinderungsgrund, den ich aus dem Jugendclub mitgebracht hatte. Eines Abends, im Juli 1985 , war ich an der Bar in ein Gespräch mit einem jungen Mann geraten, der ebenfalls zum Team des Jugendclubs gehörte. Von anderen Mitgliedern wusste ich, dass er im Dienst der Staatssicherheit stand. Das weckte meine Neugier. Durch ihn erhoffte ich mir einen unmittelbaren Einblick in das Innenleben dieses legendären Apparates. Doch auf meine Fragen antwortete er nicht, sondern druckste nur verlegen herum und hielt sich den ganzen Abend lang bedeckt. Das irritierte mich, da ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass ein Funktionsträger unserer Republik etwas zu verheimlichen hatte.
    Das Gespräch fand ein abruptes Ende, als ich beiläufig einen Blick auf die Uhr warf. Spätestens um Mitternacht hatte ich zu Hause zu sein – obwohl ich seit kurzem volljährig war. An der Haltestelle gegenüber dem Haus der Kulturen stand die Tram schon abfahrbereit. Wie ärgerlich. Ich stürzte los – und fiel gleich am Eingang über die Treppenstufen. Der Länge nach schlug ich auf dem Pflaster hin, während die Straßenbahn sich in Bewegung setzte. Ich versuchte mich aufzurappeln, aber es tat höllisch weh. Meine Knie bluteten, und auch an den Händen hatte ich mir Schürfwunden zugezogen. Ein stechender Schmerz am Knöchel hinderte mich außerdem daran, richtig aufzutreten. Wie sich später herausstellte, hatte ich mir bei dem Sturz die Bänder oberhalb des Sprunggelenks angerissen.
    Mit Mühe humpelte ich zur Straßenbahnhaltestelle und ließ mich, als die nächste Tram kam, erschöpft auf einen Sitz fallen. Der Umstieg in den Bus nach Langenberg erschien mir ebenfalls wie eine Höllenqual, und den letzten Abschnitt bis zu unserem Haus konnte ich nur bewältigen, indem ich mich langsam seitlich die steil ansteigende Straße hocharbeitete, um mein Fußgelenk nicht zu stark zu belasten.
    Die ganze Zeit über peinigte mich jedoch nur eine Frage: Würde es daheim Theater geben, wenn ich eine Stunde zu spät nach Hause kam? So

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